Großflughafen : Berlin, lass es bleiben!
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Computer-Animation des neuen Flughafens Berlin Brandenburg: Vorne die neue Airport City, dahinter die Terminalgebäude und schließlich die Start- und Landebahnen Bild: Flughafen Berlin Brandenburg
Die Eröffnung des neuen Berliner Großflughafens ist nur aufgeschoben. Warum eigentlich nicht aufgehoben? Zehn Gründe, weshalb die Hauptstadt den Umzug lieber endgültig abblasen sollte.
1. Lieber ein Ende mit Schrecken. Wer glaubt im Ernst, dass der neue Flughafen jemals funktionieren wird? Im Vergleich zu den bisherigen Flughäfen wird die Zahl der Check-in-Schalter von 186 auf 94 fast halbiert, es gibt für alle Abflüge nur 30 Sicherheitsschleusen, zum großen Billigflieger-Terminal führt bloß ein schmaler Durchlass. Schon bei seiner Eröffnung würde der Airport hart an der Kapazitätsgrenze operieren, und die Erweiterungsmöglichkeit wären viel zu beschränkt: Neue Gates könnten nur mitten auf dem Flugfeld entstehen, Passagiere müssten dann unterirdisch dorthin gelangen. Und das sind nur die Schwierigkeiten, die jetzt schon jeder Laie auf den ersten Blick erkennt. Im Vergleich dazu sind die zusätzlichen Baracken-Terminals auf den beiden alten Flughäfen noch komfortabel. Die Eröffnung, selbst wenn sie nach immer neuen Verschiebungen irgendwann zustande kommt, wäre nur der Auftakt zu weiteren Pannen - ein Schrecken ohne Ende.
2. Tegel ist besser. Schon jetzt atmen viele Berliner erleichtert auf: ein Glück, dass wir noch ein paar Monate vom alten Flughafen starten können. Aber warum dann nicht für immer? Der Airport aus dem Jahr 1974 ist nicht nur zentrumsnah. Er ist für die Passagiere auch sehr praktisch. Mit dem Taxi direkt vors Gate, Sicherheitskontrollen ohne lange Wartezeiten - und dann direkt zum Boarding auf einem Weg, der nicht in Schlangenlinien durch einen Duty-Free-Shop führt. Damals bauten die Architekten keine Shopping Mall, sondern einen Flughafen. Und einen schönen noch dazu: Design der Siebziger vom Feinsten, von den abgerundeten Türgriffen bis zu den Wasserhähnen, nur den alten Boden in der Tegel-typischen Sechseckform hat man leider entfernt. Nicht mal der Lärm, unter dem die Anwohner in Pankow leiden, spricht gegen Tegel. Denn der neue Großflughafen wurde so dicht an der Stadt geplant, dass die Probleme dort die gleichen wären.
3. Berlin bekommt nichts gebacken. Zugegeben, auch andernorts gibt es Probleme mit Großprojekten. Am Londoner Flughafen Heathrow streikte die Gepäckanlage, beim Kölner U-Bahn-Bau versank ein Archiv, die Hamburger Elbphilharmonie verzögert sich um Jahre und vervielfacht sich im Preis. Aber ist das ein Argument? In Berlin funktioniert noch nicht mal die S-Bahn, auch jetzt im Sommer nicht, man baute einen schicken Hauptbahnhof ohne U-Bahn-Anschluss und vergraulte das „Guggenheim Lab“ für die Stadt der Zukunft, nur weil es von BMW gesponsert wurde. Den Berlinern ist es recht. Sie glauben, dass sowieso nie etwas klappt - erst recht nicht, wenn „die da oben“ etwas organisieren. In diesem Glauben sehen sie sich gern bestätigt, alles andere würde ihnen nur schlechte Laune machen.
4. Bahnfahren ist bequemer. Viele Passagiere fliegen von Berlin aus sowieso nur Kurzstrecke. Aber was haben sie davon? Umständliche Anfahrt, lästige Kontrollen, Busrundfahrten übers Rollfeld, enge Flugzeugsitze - und am Zielort das alles noch einmal retour. Verlorene Stunden, an Arbeit oder Entspannung ist überhaupt nicht zu denken. Dabei sind die meisten deutschen Städte in maximal vier Stunden Bahnfahrt von Berlin aus zu erreichen, in ein paar Jahren wird das selbst für München gelten. Gestartet wird mitten in der Stadt, niemand diskutiert über Wasserflaschen oder Nagelscheren im Handgepäck, der Zug hält stets direkt am Gate, das in diesem Falle Bahnsteig heißt. Wer nicht gerade freitags oder sonntags fährt, kann sich über Platzmangel meist nicht beschweren. Auch der Koffer geht bei der Bahn nicht so schnell verloren. Und selbst die oft beklagten Verspätungen halten sich in engen Grenzen - verglichen mit den Airlines, die den Flugbetrieb bei schlechter Wetterlage schon mal ganz und gar einstellen.
5. Nur Arme fliegen nach Berlin. Es stimmt, das Passagieraufkommen hat sich in den vergangen zehn Jahren glatt verdoppelt. Aber was sind das für Leute, die da kommen? Exilanten aus Schwaben, Partygänger aus ganz Europa, neuerdings arbeitslose Spanier. Arm und sexy eben. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Vielleicht finden sie Berlin ja wirklich so „aufregend“, wie es im Reiseführer immer heißt. Nur ist es für die etablierten Fluglinien ein schlechtes Geschäft - und keines, das normalerweise einen Großflughafen trägt. Kein Dax-Konzern, keine wichtige Bank, nicht einmal nennenswerte Mittelständler: Da bleibt die Lufthansa auf ihren teuren Business-Plätzen sitzen, mit denen sie normalerweise die 99-Euro-Tickets für die Studenten finanziert. Deshalb sind die Billiglinien in Berlin so stark wie nirgends sonst, am neuen Flughafen haben sie sogar ein eigenes Terminal durchgesetzt: ohne Holz an der Wand, ohne Kalkstein auf dem Boden, ohne ausreichende Sitzgelegenheiten. Ja, aber wozu braucht man dann einen neuen Airport? Als spartanischer Haltepunkt für Easyjet erfüllt der alte Schönefelder Flughafen seine Aufgabe perfekt. Da wissen die Passagiere wenigstens, dass sie bloß Billigkundschaft sind.