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Keine Akkreditierung mehr : Briten wollen Homöopathie verbannen

Die Briten wollen die Homöopathie verbannen. Bild: Reuters

Die Direktoren des britischen Gesundheitssystems halten die Globuli nicht für Wissenschaft. Der Umsatz geht zurück, auch in Frankreich und Deutschland.

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          Der Druck auf die Vertreter der Homöopathie wächst in vielen westlichen Ländern. Einige streichen die Zuckerkügelchen aus dem Erstattungskatalog der Krankenkassen, wie Frankreich es dieses Jahr beschlossen hat und es auch in Deutschland einige fordern. In Großbritannien hat der staatliche Gesundheitsdienst NHS schon vor zwei Jahren die Ärzte angewiesen, keine Globuli mehr zu verschreiben, weil deren Wirkung wissenschaftlich nicht erwiesen sei. Nun dringt der NHS darauf, dem Homöopathen-Verband das Gütesiegel des halbstaatlichen Gesundheits-Berufsstandardsgremiums PSA zu entziehen.

          Philip Plickert
          Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.

          NHS-Direktor Simon Stevens warnte, eine Akkreditierung von Homöopathen erhöhe das Risiko, dass Menschen Geld „abgeschwindelt“ werde. In einem Brief an die Behörde argumentieren die NHS-Direktoren, dass der Verband der Homöopathen zwar „scheinbar die prozeduralen Standards erfüllt, aber die Basis ihrer Praktiken ist fundamental fehlerhaft“. Ein offizielles PSA-Gütesiegel erwecke den falschen Eindruck, homöopathische Methoden seien „klinisch und wissenschaftlich etabliert“ und ihren Angeboten könne vertraut werden.

          Der NHS sieht dies besonders kritisch „in einer Zeit, wo es eine Zunahme der Desinformationen über Impfungen gibt – von denen einige anscheinend von Homöopathen verbreitet werden.“ Deren Verband schreibt auf seiner Internetseite, dass er die Mittel nicht als Ersatz für Impfungen oder die Behandlung schwerer Krankheiten empfehle.

          Der Druck zeigt Wirkung

          Bei homöopathischen Mitteln werden pflanzliche Wirkstoffe sehr stark verdünnt in Zuckerkügelchen gebunden. Die Dosierung ist praktisch null. Viele Wissenschaftler sprechen von Pseudomedizin, die höchstens Placebo-Effekte hat. In Großbritannien zeigt der Druck Wirkung. Die Verschreibungszahl ist in den vergangenen fünf Jahren von mehr als 10000 auf noch etwa 3300 Packungen zum Gesamtpreis von 55000 Pfund gesunken – diesen Rest will der Gesundheitsdienst vermeiden.

          Während der NHS radikal vorgeht und homöopathische Mittel auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt hat, nehmen sie auch andere Länder ins Visier. Frankreich streicht die Erstattung der Kügelchen schrittweise aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. In Belgien sagen Verbraucherschützer, Homöopathie sei unwirksam und sogar gefährlich.

          Die spanische zentrale Ärztekammer hat sich ähnlich kritisch geäußert. In Australien kam die Gesundheitsbehörde schon vor Jahren zu dem Schluss, es gebe keine Belege für die Wirksamkeit der Homöopathie bei der Behandlung der untersuchten Krankheitsbilder.

          Geringer Anteil an Gesamtumsatz

          Für die Industrie, die alternative Medizinen herstellt, wird der Druck zum Problem. Die Hersteller homöopathischer Mittel machen in europäischen Ländern Hunderte Millionen Euro Umsatz, auch wenn ihr Anteil im Vergleich mit den Herstellern schulmedizinischer Arzneien klein ist. In Deutschland, dem Mutterland der Homöopathie, wurden im vergangenen Jahr für 670 Millionen Euro homöopathische Mittel verkauft, ein Anstieg um etwa 70 Prozent seit 2010, doch ist der Höhepunkt seit einigen Jahren überschritten.

          Der Globuli-Umsatz beträgt weniger als ein Hundertstel des Marktes mit rezeptpflichtigen und rezeptfreien Medikamente. Von den Arzneien wurden 2018 für rund 56 Milliarden Euro verkauft. Nur wenige Krankenkassen bieten die Erstattung als freiwillige Leistung an.

          In Frankreich bezahlten staatliche Sozialversicherungen im vergangenen Jahr 127 Millionen Euro für Globuli bei insgesamt 20 Milliarden Euro Gesamterstattung für Arzneimittel. Die Erstattung je Mittel soll im kommenden Jahr von 30 auf 15 Prozent sinken. Im Jahr 2021 sollen die Kassen gar nichts mehr zahlen. Die zunehmende kritische Debatte hat schon Auswirkungen auf die Verkäufe. Der französische börsennotierte Hersteller Boiron meldete einen Umsatzrückgang mit Homöopathie-Mittel von 12 Prozent in seinem Heimatmarkt.

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