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Fridays for Future : „Wir wollen eure Hoffnung nicht. Wir wollen, dass ihr euch uns anschließt“

Luisa Neubauer (l.) und Greta Thunberg beim Klimastreik in Hamburg in der vergangenen Woche Bild: Florian Sonntag

Fridays for Future ist von einem lokalen Protest zu einer weltweiten Bewegung gewachsen. Schüler und Studierende fordern, gegen den Klimawandel aufzustehen. Und sie wollen, dass die Erwachsenen es ihnen gleich tun. Ein Gastbeitrag der Initiatoren.

  • -Aktualisiert am
          5 Min.

          Alles begann vor dem schwedischen Parlament am 20. August 2018 – einem normalen Schultag. Greta saß dort mit ihrem selbstgemalten Schild und einigen selbstgemachten Flyern. Es war der erste Schulstreik überhaupt. Von da an waren Freitage keine normalen Schultage mehr.

          Wir andere und viele Gleichgesinnte in Deutschland, Australien, Belgien, der Schweiz, Neuseeland, Uganda und vielen anderen Ländern haben uns angeschlossen. Heute findet der Klimastreik auf der ganzen Welt statt.

          Diese Bewegung musste entstehen, wir hatten keine Wahl. Wir wussten, dass es eine Klimakrise gibt. Nicht nur, weil Wälder in Schweden oder in den Vereinigten Staaten brannten, weil es in Deutschland und Australien abwechselnd Überschwemmungen und Dürren gab, weil Felswände in den Alpen wegen des schmelzenden Permafrosts einstürzen, usw. Wir wussten es, denn alles, was wir lasen und sahen, schrie uns entgegen, dass da etwas sehr schiefläuft.

          Den ersten Tag, an dem sie sich weigerte, zur Schule zu gehen, verbrachte Greta allein. Doch seitdem hat eine Bewegung von Klimastreikenden die Welt erfasst. Am heutigen Tag werden junge Menschen in mehr als 100 Ländern die Klassenzimmer verlassen, um Maßnahmen gegen die größte Bedrohung zu fordern, der die Menschheit je ausgesetzt war.

          Diese Streiks finden heute statt – von Washington DC bis Moskau, von Tromso bis Invercargill, von Beirut bis Jerusalem und von Shanghai bis Mumbai –, weil uns Politiker im Stich gelassen haben. Wir haben jahrelange Verhandlungen und armselige Klimavereinbarungen beobachtet, haben gesehen wie Unternehmen freie Fahrt gewährt wird, unser Land aufzubaggern, unter unseren Böden zu bohren und für ihre Profite unsere Zukunft zu verbrennen. Wir haben gesehen, wie Fracking, Tiefseebohrungen und Kohlebergbau weitergehen. Politiker kennen die Wahrheit über den Klimawandel und haben dennoch unsere Zukunft Profiteuren überlassen, deren Suche nach schnellem Geld unsere Existenz bedroht.

          Diese Bewegung musste entstehen, wir hatten keine Wahl. Der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC vom letzten Jahr hätte nicht deutlicher ausdrücken können, welche extremen Gefahren eine globale Erwärmung von mehr als 1,5 Grad mit sich bringt. Um überhaupt eine Chance zu haben, diese extremen Gefahren zu vermeiden, müssen die Emissionen extrem schnell sinken - so dass wir, wenn wir Mitte und Ende zwanzig sind, in einer neu gestalteten Welt leben.

          Die Schülerinnen und Schüler, die heute in Städten und Gemeinden auf der ganzen Welt streiken, schließen sich hinter der Wissenschaft zusammen. Wir fordern von Politikerinnen und Politikern nur, das Gleiche zu tun.

          Wenn die Verantwortlichen von heute nicht handeln, wird es unsere Generation sein, die mit ihren Versäumnissen leben muss. Wer heute unter zwanzig ist, kann 2080 noch erleben und mit einer Welt konfrontiert sein, die um bis zu 4 Grad wärmer ist. Die Auswirkungen einer solchen Erwärmung wären absolut verheerend. Flüsse würden über die Ufer treten, Stürme würden an den Küsten schlimme Schäden anrichten, Korallenriffe gäbe es nicht mehr. Durch schmelzende Polarkappen würden die Meeresspiegel dramatisch steigen und Küstenregionen überschwemmen. Manche Orte auf der Erde werden unbewohnbar sein.

          Die Wissenschaft zeigt auch, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe „die größte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern weltweit" ist. Neun von zehn Kindern auf der Welt atmen bereits schädliche Luft. Unser Leben wird gefährdet, bevor wir überhaupt geboren werden. Giftige Partikel aus Abgasen gelangen in die Lunge von Schwangeren und sammeln sich in der Plazenta an. Das damit verbundene Risiko von Frühgeburten, geringem Geburtsgewicht und kognitiver Dysfunktion ist eine Katastrophe für die öffentliche Gesundheit. Die Verschmutzung durch Dieselfahrzeuge hemmt das Wachstum unserer Lunge und hinterlässt bleibende Schäden. Die giftige Luft aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe verstopft nicht nur unsere Lungen – sondern erstickt auch unsere Hoffnungen und Träume.

          Und diejenigen, die am stärksten gefährdet sind, werden die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels unverhältnismäßig stark zu spüren bekommen. Es geht nicht nur darum, die Emissionen zu senken, sondern auch um Gerechtigkeit. Das aktuelle System versagt und funktioniert nur für wenige Reiche. Der Luxus, den so wenige von uns im globalen Norden genießen, basiert auf dem Leiden der Menschen im globalen Süden. Wir haben gesehen, wie Politiker herumpfuschen, ein politisches Spiel spielen anstatt der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Lösungen, die wir brauchen, innerhalb des derzeitigen Systems nicht gefunden werden können. Sie wollen sich den Tatsachen nicht stellen – wenn wir versuchen wollen, auf die Klimakrise zu reagieren, müssen wir das System ändern.

          Diese Bewegung musste entstehen, wir hatten keine Wahl. Die überwiegende Mehrheit der heute Streikenden darf noch nicht wählen. Stellt euch für eine Sekunde vor, wie sich das anfühlt. Wir sehen wie sich die Klimakrise verstärkt, wir kennen die Fakten, und doch dürfen wir nicht mitbestimmen, wer die Entscheidungen über Klimaschutz trifft. Und dann fragt euch mal: Würdet ihr nicht auch streiken, wenn ihr denkt, dass es helfen würde, eure eigene Zukunft zu sichern?

          Also gehen wir heute raus aus der Schule, verpassen unsere Vorlesung und gehen auf die Straße, um zu sagen: genug ist genug. Einige Erwachsene sagen, dass wir den Unterricht nicht verpassen sollten – dass wir „eine Ausbildung bekommen“ sollten. Wir denken, dass uns organisierter Protest gegen eine existenzielle Bedrohung – und die Frage, wie wir uns Gehör verschaffen können – einige wichtige Lektionen lehrt.

          Andere Erwachsene sagen: „Wir sind es den Jugendlichen schuldig, ihnen Hoffnung zu geben.“ Aber wir wollen eure Hoffnung nicht. Wir wollen nicht, dass ihr Hoffnung habt. Wir wollen, dass ihr in Panik geratet, und wir wollen, dass ihr etwas unternehmt. Wir wollen, dass ihr euch uns anschließt.

          Wir haben uns darauf verlassen, dass Erwachsene die richtigen Entscheidungen treffen, um für die nächste Generation die Zukunft zu sichern – sicherlich haben wir nicht alle Antworten. Aber was wir wissen ist, dass die fossilen Brennstoffe im Boden bleiben und Subventionen für dreckige Energieerzeugung auslaufen müssen, dass wir ernsthaft in erneuerbare Energien investieren müssen und anfangen, schwierige Fragen darüber zu stellen, wie wir unsere Volkswirtschaften neu organisieren, und wer die Gewinner und wer die Verlierer sein werden.

          Und wir sind nicht mehr allein. Zehntausende von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt haben Erklärungen zur Unterstützung der Schulstreiks von Kindern veröffentlicht. Die Wissenschaftler waren sehr deutlich darin, was wir tun müssen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Wir schließen uns hinter den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammen. Wir fordern von den Politikerinnen und Politikern nur, das Gleiche zu tun.

          Es ist so wichtig, dass dies jetzt geschieht. Damit die nötigen Veränderungen stattfinden können, müssen alle anerkennen, dass wir uns in einer Krise befinden, und sich zu einem radikalen Wandel verpflichten. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können – aber wir müssen jetzt handeln.

          Es gibt keine Grauzone, wenn es ums Überleben geht. Es gibt keine weniger schlechte Option. Deshalb streiken heute junge Menschen in allen Teilen der Welt, und deshalb bitten wir darum, dass auch ältere Menschen mit uns auf die Straße gehen. Wenn unser Haus brennt, können wir es nicht einfach den Kindern überlassen, die Flammen zu löschen – Erwachsene müssen die Verantwortung dafür übernehmen, das Feuer überhaupt erst entfacht zu haben. Ausnahmsweise bitten wir also die Erwachsenen, unserem Beispiel zu folgen: Wir können nicht länger warten.

          Diese Bewegung musste entstehen. Und jetzt habt ihr Erwachsenen die Wahl.

          UnterzeichnerInnen

          Greta Thunberg (Schweden)

          Luisa Neubauer (Deutschland)

          Anuna De Wever (Belgien)

          Kyra Gantois (Belgien)

          Adélaïde Charlier (Belgien)

          Holly Gillibrand (Schottland)

          Anna Taylor (Großbritannien)

          Alexandria Villasenor (Vereinigte Staaten von Amerika)

          Biographien

          Greta Thunberg, 16, ist eine schwedische Klimaaktivistin, die im August 2018 ihren Schulstreik vor dem schwedischen Parlament begonnen hat. Seitdem hat ihre Initiative Schulstreiks für das Klima in mehr als 100 Ländern inspiriert. Greta will weiter streiken, bis Schwedens Klimapolitik mit dem Pariser Abkommen vereinbar ist.

          Luisa Neubauer, 22, ist eines der Gesichter der deutschen Klimajugendbewegung. Sie fordert Deutschland auf, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen und seine Klimapolitik mit dem Pariser Abkommen in Einklang zu bringen.

          Anuna De Wever, 17, Kyra Gantois, 20, und Adélaïde Charlier, 18 aus Belgien haben in den letzten Monaten die Klimastreiks in den flämisch- und französischsprachigen Teilen Belgiens angeführt. Sie fordern, dass Politiker und Politikerinnen Klimaschutz zur Priorität machen.

          Holly Gillibrand, 13, aus Fort William in Schottland, ist Umweltaktivistin und -campaignerin. Jeden Freitagmorgen verpasst sie für eine Stunde die Schule und findet, das ist „ein geringer Preis um sich für den Planeten einzusetzen“.

          Anna Taylor, 17, ist eine der führenden Persönlichkeiten der britischen Jugendklimabewegung. Sie sagt, junge Menschen sind „bereit für schnellen und radikalen Klimaschutz weiter zu demonstrieren”.

          Alexandria Villasenor, 13, demonstriert seit Dezember vor dem Sitz der Vereinten Nationen in New York. Sie sagt, der Klimawandel ist das größte Problem für ihre Generation.

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