Herbizid : Der dramatische Kampf um die Deutungshoheit von Glyphosat
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„Roundup“ heißt das umstrittene Produkt von Monsanto, das Glyphosat enthält. Bild: Reuters
Vor wenigen Wochen wurde bekannt: Monsanto schrieb vermeintlich unabhängige Studien selbst. Jetzt gerät auch die Gegenseite in Bedrängnis. Es geht um eine Zahlung von mehr als hunderttausend Dollar.
Ende dieses Monats soll in Brüssel über die Zukunft des Herbizids Glyphosat entschieden werden. Es geht um viele Millionen Euro, vor allem für die Chemiebranche, auch für die Landwirtschaft, allen voran für den amerikanischen Chemie- und Saatgutkonzern Monsanto – und indirekt auch für Bayer aus Deutschland, das die Mehrheit an Monsanto übernehmen will. Auf der Zielgraden läuft ein dramatischer Kampf um die Deutungsmacht darüber, ob Glyphosat für Menschen krebserregend wirkt oder ob das Risiko minimal ist, so wie es viele nationale Behörden auf der Welt sagen, auch in Deutschland. Nachdem aus internen E-Mails öffentlich wurde, dass Monsanto sich selbst als „Ghostwriter“ wohlmeinender Krebsstudien bezeichnet hatte, steht nun aber auch die Glaubwürdigkeit der Gegenseite auf dem Spiel.
Hierbei geht es um einen Statistiker, der seit Jahren maßgeblich die Kampagne gegen Glyphosat befeuert, die auch die deutschen Grünen und mehrere Nichtregierungsorganisationen steuern: Christopher J. Portier. Dieser ist unter anderem Professor an der Universität Maastricht und untersucht für renommierte internationale Organisationen seit vielen Jahren die Krebsgefahren diverser Substanzen, bis hin zu den Strahlungen von Elektrogeräten. Er ist also nicht Mediziner oder Toxikologe, sondern ein Statistiker, der sich vortrefflich auf die Interpretation von Daten versteht.
Portier schrieb „Krebs-Monographie“ für WHO
Und als solchem ist für Portier seit Jahren eindeutig: Glyphosat birgt Krebsgefahren. Deutlich wird das anhand einiger Versuche an Ratten und Mäusen, aber Portier sieht sie auch für Menschen. Und das sagt seit dem März 2015 auch das IARC, eine Behörde der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die hunderte Stoffe auf ihre Krebsrisiken hin untersucht hat, von Glyphosat über Fleisch und Kaffee bis hin zur Sonnenstrahlung. Zur Erklärung: Krebsgefahr ist eine absolute Aussage, das Krebsrisiko eine relative Aussage – sie berücksichtigt, eine wie große Dosis der Mensch aufnimmt. Mäuse und Ratten, die Tumoren bildeten, erhielten sehr hohe Dosen – Verbraucher, die Glyphosat-Rückstände über das Brot oder Bier zu sich nehmen, sehr geringe.
Die „Krebs-Monographie“ des IARC trug auch die Handschrift von Christopher J. Portier, der externer Gutachter der Behörde in dieser Sache war. Seitdem das IARC im Jahr 2015 festhielt, Glyphosat sei „wahrscheinlich krebserregend“, fordert die Allianz der Gegner vehement das Verbot – und dies mit wissenschaftlichem Rückenwind. Ziel ist das Verbot. Seither zweifeln immer mehr Parteien an ihrer Zustimmung für eine Verlängerung oder haben sich dagegen positioniert: so mehrere europäische Regierungen, allen voran die französische Regierung, oder auch die deutsche SPD.
Anwälte streben seit Jahren Sammelklagen gegen Monsanto an
Portier selbst verwies immer wieder darauf, dass es ein Skandal sei, dass Risikoprüfbehörden wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) oder die europäische Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) in ihrer Urteilsfindung zu einem großen Teil auf Studien zurückgriffen, die von den Chemiekonzernen wie Monsanto selbst stammten. Diese entgegnen, das sei so üblich, auch etwa in der Pharmabranche. Portier aber sagte gelegentlich auch, er vertrete in dieser Sache selbst keine wirtschaftlichen Interessen. Das aber war nicht wahr. Wie jetzt bekannt wurde, erhielt Portier nur wenige Tage, nachdem das IARC die viel zitierte Krebs-Monographie herausgab, mindestens zwei lukrative Beraterverträge.
Portier wurde rechtlicher Berater zweier amerikanischer Anwaltsgroßkanzleien. Die eine etwa, Weitz & Luxenberg, strebt in den Vereinigten Staaten seit Jahren Sammelklagen gegen Monsanto an. In Zeitungsanzeigen sucht sie nach Krebskranken, die in Kontakt mit Glypohsat waren, beziehungsweise dem darauf basierenden Produkt „Roundup“ von Monsanto. Mit solchen Sammelklagen, die lukrativen Schadensersatz versprechen, ist oder war in den Vereinigten Staaten eine Fülle von Wirtschaftskonzernen konfrontiert, insbesondere aus der Chemie-, Pharma-, Tabak- oder Kosmetikbranche. Weitz & Luxenberg verweist in der Anzeige auf die Studie des IARC, die „wahrscheinliche Krebsgefahr“ attestiert.
„Gesamte Kampagne fußt auf Habgier und Betrug“
Für diesen und einen weiteren Beratervertrag (für die Kanzlei Lundy Lundy Soileau & South) erhielt Christopher Portier, wie aus den Anhörungsprotokollen hervorgeht, rund 160.000 Dollar. „Ich habe keine Ahnung, wie viel das in Summe war, aber vielleicht“, sagte Portier auf diese Summe angesprochen dem Protokoll nach, „ist es eine nennenswerte Summe an Geld.“ Vertraglich garantierte er seinen Auftraggebern Stillschweigen. Währenddessen schrieb Portier offene Briefe an das BfR, den EU-Kommissionspräsidenten, trat in Anhörungen im Deutschen Bundestag auf – dies im Stile eines Anklägers, der mehr Transparenz im Zulassungsprozess einforderte. Doch die blieb er selbst, in eigener Sache, schuldig.
Bekannt wurde dies, weil ein Anhörungsprotokoll öffentlich wurde – Portier musste sich im Zuge amerikanischer Gerichtsprozesse den Fragen der Anwälte stellen. Aufmerksam darauf machte in seinem Blog ein Mann, der als Kommunikationsmanager allerdings selbst auf der Gehaltsliste mancher der von Portier angegriffenen Organisationen stand: David Zaruk. Entsprechend hart, da auch er Partei zu sein scheint, fallen seine Urteile aus: Der Fall Portier zeige, „wie die gesamte Kampagne gegen Glyphosat auf Habgier und Betrug fußte”, meint er, und spricht von „Mafiamethoden“. Wahr ist auch, dass Portier die Studie des IARC nicht allein schrieb.
Wer blickt überhaupt noch durch?
Sein Einfluss ist begrenzt. Zaruk scheint selbst eine gleichsam ideologische Haltung zum Glyphosat zu vertreten – er beschreibt dieses Totalherbizid mit den werblichen Worten, es „schütze und verbessere die Bodengesundheit“. Damit meint er: Da es alle Pflanzen tötet, erspart es dem Bauern den Pflug. Wahr aber ist auch, dass es wenige wissenschaftliche Erkenntnisse gibt über die Wirkung von Mitteln wie Roundup, über die Krebsrisiken für Kinder oder intensive Anwender wie Landwirte in Südamerika – oder die dortige ländliche Bevölkerung, wenn sie der Substanz ungeschützt ausgeliefert ist.
Schon vereinnahmt die Industrie den „Fall Portier“ für ihr Interesse, Glyphosat als bodenschonend und ungefährlich darzustellen. Zunächst ist der Fall Portier nicht mehr als ein Fall Portier. Um einen wirklichen Skandal handelt es sich gleichwohl. Portier verschwieg einen Interessenkonflikt, der den Kern der Anti-Glyphosat-Kampagne berührt, weil sich diese auf das Argument der Krebsgefahren stützt. Am Ende zieht ein Nebel in diesem komplizierten Fall auf, der es selbst für Kenner des Themas fast unmöglich macht, sich ein Urteil zu bilden. Die Fachleute „beider Seiten“ scheinen diskreditiert und auf irgendeine Weise „gekauft“, und es scheint fraglich, wem man noch glauben soll.