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Gewerkschaften warnen : „Ohne Gaslieferungen steht die ganze Wirtschaft“

Vor dem Stillstand?: Anlage zur Verdichtung von russischem Erdgas in Brandenburg Bild: ZB

Nicht nur Unternehmen fürchten die Folgen eines Energieembargos gegen Russland, auch Gewerkschaften warnen vor gravierenden Auswirkungen auf Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze.

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          Während die Gewerkschaft Verdi neue Streiks in Kindergärten und Versicherungen organisiert, bangen die Industriegewerkschaften nun um die Zukunft industrieller Wertschöpfung in Deutschland. Denn sollte es zum Ausfall größerer Gaslieferungen kommen, treffe das nicht etwa nur einige energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Chemieindustrie – sondern bald weite Bereiche des verarbeitenden Gewerbes mit Millionen Beschäftigten. Davor haben die Vorsitzenden von IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) am Dienstag gemeinsam gewarnt, um die aus ihrer Sicht unterschätzte Dramatik der Situation zu unterstreichen.

          Dietrich Creutzburg
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

          „Wenn Gaslieferungen ausfallen, dann steht die deutsche Wirtschaft über lange Zeit“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann voraus. Dann könne kein Stahl produziert werden. Und ohne diesen könnten auch etwa Autoindustrie und Maschinenbau nicht weitermachen. „Ein Ausfall der Stahlproduktion würde bedeuten, dass wir innerhalb von zwei oder drei Wochen einen Stillstand der kompletten Wertschöpfungskette haben“, sagte Hofmann.

          „Maximales Krisenszenario“

          IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis, der schon am Montag vor einem drohenden Stopp der Chemieproduktion gewarnt hatte, bekräftigte: Dies sei „ein maximales Krisenszenario, das nicht unterschätzt werden sollte“ – weil auch dies „multiplikative“ Folgeeffekte quer durch die verzweigten Wertschöpfungsnetzwerke habe. Und Bau-Gewerkschafter Robert Feiger erläuterte: „Bei uns betrifft es vor allem die sehr energieintensive Zementproduktion, aber auch Dämmmaterialien und Baustahl.“ Ohne diese könne man schlicht nicht bauen.

          Die drei stellten sich damit vor allem gegen die aus ihrer Sicht oft leichtfertig geführte Debatte über einen Boykott von Gas aus Russland. „Man kann nicht einfach sagen: Lasst uns ein Embargo machen – ohne genau die Auswirkungen zu sehen,“ sagte Feiger. Sollte indes Russland selbst die Lieferungen stoppen, wäre die Debatte insoweit entschieden, mit den gleichen Folgen für die Industrie.

          Umso mehr dringen Hofmann, Vassiliadis und Feiger bei der Bundesregierung darauf, die im Gasnotfallplan vorgesehenen Priorisierungen im Fall von Versorgungsengpässen genau auf Folgewirkungen zu prüfen. Dass das Heizen in Privathaushalten Vorrang habe, stehe außer Frage – doch bei der Priorisierung in der Wirtschaft komme es sehr darauf an, an welcher Stelle Ausfälle am ehesten zu kompensieren seien: Baustahl ließe sich notfalls in China zukaufen, Spezialstähle und hoch spezialisierte Chemieprodukte hingegen wären kaum kurzfristig ersetzbar.

          In jedem Fall fordern die Industriegewerkschaften von der Bundesregierung ein weiteres Entlastungspaket – gezielt für die Industrie. Dazu zählen für sie als Kurzfristmaßnahmen neue Liquiditätshilfen für insolvenzgefährdete Betriebe und eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas. Im Übrigen müsse der Ausbau erneuerbarer Energien forciert, zugleich aber eine Überlastung der Industrie durch verschärfte Klimaschutzregulierung vermieden werden.

          Die große wirtschaftliche Gefahr sieht Vassiliadis indes nicht darin, dass viele Betriebe bald wieder Kurzarbeit einführten müssten. „Meine größte Sorge ist, dass einmal heruntergefahrene Standorte nicht wieder hochgefahren werden.“ Würden Chemie-, Glas- oder Stahlproduktion dann in andere Weltregionen abwandern, wäre selbst für den Klimaschutz wenig gewonnen.

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