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Geldpolitik : Der Sparer wird enteignet

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Niedrigzinspolitik: Den Schaden haben die Sparer, belohnt werden Kreditnehmer Bild: Röth, Frank

Sparer bekommen fast keine Zinsen mehr. An der Börse werden derweil Rekorde gefeiert. Doch die Rekordjagd könnte jäh zum Ende kommen, wenn Notenbanken ihren Kurs wechseln. Geldpolitiker beteuern, sie hätten alles unter Kontrolle. Wenn das nur so einfach wäre. Eine Analyse.

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          Wer für sein Alter spart, der wird bestraft. Erst langt der Staat mit Steuern und Abgaben beim Lohnabzug so kräftig zu, dass netto oftmals gerade mal genug zum Leben bleibt. Wenn es trotzdem eine Familie aus der Mittelschicht schafft, etwas Geld auf die hohe Kante zu legen, dann muss sie nicht nur die Pläne von SPD und Grünen fürchten, Steuern und Abgaben zu erhöhen, sondern auch die Geldpolitik des Mario Draghi: Denn entgegen der Beteuerung des EZB-Präsidenten ist die Eurokrise nicht vorbei, sondern erfasst jetzt die Sparer.

          Dank der EZB bekommen Sparer nur noch eine Rendite von einem halben Prozent. Die aber wird von der Inflation gefressen; obendrein nagt die Teuerung am Kapital. Obwohl real also Geld vernichtet wird, muss der Sparer noch Steuern auf den nominalen Magerzins zahlen. Zyniker könnten sagen, die Mittelschicht in Deutschland sei das doch gewohnt. Schließlich sorgt die kalte Progression im Steuerrecht dafür, dass sich auf den Konten von Facharbeitern oder Angestellten nach einer - kleinen - Gehaltserhöhung oft weniger Geld als vorher findet. Politiker mit Aussicht auf Pension sollten sozialversicherungspflichtig Beschäftigte künftig bitte mit Sparappellen verschonen, denn in den Ohren der Mittelschicht klingt das nur noch wie Spott.

          Aus Sicht der Börse hat die Geldpolitik alles richtig gemacht

          Die kalte Enteignung der Sparer und Lebensversicherten nehmen die Politiker und Zentralbanken billigend in Kauf, weil sie mit der Nullzinspolitik überschuldeten Staaten Linderung verschaffen wollen. Während also diejenigen, die mit Sparen selbst für ihr Alter vorsorgen, wegen fehlender Verzinsung zusehen müssen, wie die versprochene Rente wie Schnee in der Sonne schmilzt, nehmen Schuldenstaaten gern neue Kredite auf, weil das Geld ja so billig ist. Wie Schulden nicht abgebaut und notwendige Strukturreformen auf die lange Bank geschoben werden, lässt sich in Amerika, Europa und in Japan besichtigen.

          Zusätzlich kaufen die Notenbanken der westlichen Welt in einem unvorstellbaren Ausmaß Wertpapiere, ebenfalls mit dem Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn der Erfolg ausbleibt, wird einfach der Einsatz erhöht, wie jetzt von der neuen japanischen Regierung. Allein die Notenbanken aus den Vereinigten Staaten und Japan kaufen jeden Monat für umgerechnet 120 Milliarden Euro Anleihen, teils aber auch Aktien. Mit diesen Interventionen drücken Zentralbanken auch den Langfristzins am Kapitalmarkt in die Nähe von null. Das freut die Finanzminister, vertreibt aber private Anleihekäufer, die auf der Suche nach auskömmlicher Rendite ins Risiko gehen und Aktien kaufen müssen.

          Billiges Geld nimmt den Druck von der Wirtschaft, sich zu reformieren

          Auch deshalb werden an der Börse Rekorde gefeiert. Für Aktionäre kann die Rekordjagd gern noch lange weitergehen. Sie könnte aber jäh zum Ende kommen, wenn Notenbanken ihren Kurs wechseln. Aus Sicht der Börse hat die Geldpolitik alles richtig gemacht. Erst wurde mit der Krisenpolitik der Kollaps der Weltwirtschaft verhindert. Dann sorgte die Liquiditätsflut für gute Stimmung in Banken und an Märkten. Die Summen entziehen sich jeder Vorstellungskraft. Seit dem Fall der Lehman Bank weiteten die Notenbanken aus den Vereinigten Staaten, Japan, Großbritannien, der Eurozone und der Volksrepublik China ihre Bilanzsummen von zwei auf 8,5 Billionen Dollar aus, schätzen Marktteilnehmer. Wo sind die 6,5 Billionen Dollar geblieben?

          Geldpolitiker beteuern, sie hätten alles unter Kontrolle, sie „neutralisierten“ ihre Geldgeschäfte. Doch wenn das viele Geld kaum Wachstum generiert, die Inflation auch noch nicht ins Laufen gekommen ist, wird dann an der Aktienbörse oder am Immobilienmarkt in deutschen Städten gerade die nächste Blase aufgepumpt? Auch das habe man jetzt alles im Griff, will uns die moderne Geldpolitik weismachen. Dazu müsse man im Boom bloß darauf achten, dass keine Kreditpyramiden entstehen, und dann noch die Exzesse von Vermögenpreisen verhindern. Wenn das so einfach wäre. Wie erkennt man eine Blase? Warum soll man Notenbanken vertrauen, die mit verfehlter Geldpolitik die Welt zuvor an den Abgrund geführt haben? Es war Alan Greenspan, der damalige Chef der Fed, der selbst die Warnung der BIZ, der Notenbank der Notenbanken, vor zu expansiver Geldpolitik in den Wind schlug.

          Wer die Nebenwirkungen einer ultralockeren Geldpolitik betrachten will, der kann nach Japan schauen, das nach dem Platzen der Tokioter Immobilienblase zwei verlorene Jahrzehnte durchlebt hat. Billiges Geld nimmt den Druck von der Wirtschaft, sich zu reformieren und immer wieder neu zu erfinden. Wenn Kapital keinen Preis mehr hat, sind Fehlinvestitionen und Kapitalverschwendung die zwangsläufige Folge. In einer Welt ohne Zins wird Einkommen und Reichtum in aggressiver Weise umverteilt. Den Schaden haben Sparer, belohnt werden Kreditnehmer. In der Eurozone sorgt künftig die EZB dafür, dass über Ländergrenzen hinweg von Gläubigern zu Schuldnern umverteilt wird.

          Zum Glück hat die EZB kürzlich ihre Vermögenstatistik der Eurozone veröffentlicht. Jeder kann nachlesen, wo es die ärmsten Haushalte gibt, wo die Zahl der Hauseigentümer und der Kreditnehmer am niedrigsten ist. Ein Schelm, wer da an Deutschland denkt.

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