Geflügelbörse : Das unrentable Huhn
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Nichts mehr wert Bild: Imago
Wenn Hühner keine Eier mehr legen, werden sie in Afrika entsorgt. Das haben die Afrikaner jetzt satt.
Ein nützlicheres Nutztier als das Huhn gibt es nicht auf der Welt, das wusste schon Wilhelm Busch: „Einesteils der Eier wegen, welche diese Vögel legen. Zweitens: Weil man dann und wann einen Braten essen kann. Drittens aber nimmt man auch ihre Federn zum Gebrauch.“ Verständlich also, dass Witwe Bolte Zeter und Mordio ruft, als sie entdeckt, dass Max und Moritz ihren drei Hennen und einem Hahn vor der Zeit den Garaus gemacht haben: „Meines Lebens schönster Traum hängt an diesem Apfelbaum.“
Wüsste sie, wie wenig ein Huhn 150 Jahre später noch wert ist, Frau Bolte hielte es vermutlich für einen besonders infamen Streich: An der wichtigsten Geflügelbörse Europas müssen die Verkäufer derzeit sogar Geld drauflegen, wenn sie ihre Hühner loswerden wollen. Ein Strafzins für Geflügel sozusagen. Schuld daran sind deutsche Verbraucher, polnische Schlachthöfe, afrikanische Potentaten, der kirchliche Festkalender – und natürlich auch der Ölpreis.
Vier Cent je Kilo Suppenhuhn
Aber der Reihe nach. Jede Woche werden in Barneveld, einer Kleinstadt in den Niederlanden, die Preise für schlachtreifes Geflügel ermittelt. Das Städtchen verfügt über gleich vier Haltepunkte an einer Bahnstrecke, die auf Niederländisch „Hähnchenlinie“ heißt. An der Geflügelbörse von Barneveld orientiert sich die Branche in halb Europa – auch deshalb, weil andernorts die Preise nicht so schön transparent veröffentlicht, sondern in Hinterzimmern und per Handschlag vereinbart werden.
Für Suppenhühner, die billigste Variante, lag die Notierung vor ein paar Monaten noch bei 30 Cent je Kilo. Dann aber ging es von Woche zu Woche bergab. Im November bekamen die Geflügelhalter immerhin noch ein paar Cent von den Aufkäufern. Aber kurz darauf mussten sie schon drauflegen, um einen Abnehmer für ihre Tiere und deren Fleisch zu finden, in den schlimmsten Wochen vier Cent je Kilo. Im Minus liegt der Preis noch immer. Dabei essen die Leute doch so viel Geflügel wie nie zuvor. Man muss einen Hühnerfachmann fragen, um das Rätsel aufzulösen.
Deutschlands Hühnerfachmann Nummer eins ist Hans-Wilhelm Windhorst. Er ist Professor an der Universität Vechta, nicht weit vom Wiesenhof, und leitet das Wissenschaftliche Informationszentrum Nachhaltige Geflügelzucht, kurz: Wing. „Die Nutzung von ausgestallten Hennen aus der Eierproduktion war eigentlich immer schon ein Problem“, sagt der Professor – und erklärt dann auch noch, was das bedeutet: Anders als zu Witwe Boltes Zeiten gibt es heute eine Arbeitsteilung zwischen den Hühnerrassen.
Überangebot an Suppenhühnern
Die einen werden, gewöhnlich schon etwa sechs Wochen nach ihrer Geburt, als Masthähnchen geschlachtet und liefern die Brustfilets und Hähnchenschnitzel für die Kühltheke. Die anderen legen anderthalb Jahre lang fast jeden Tag ein Ei, dann lässt die Legeleistung nach, deshalb werden auch sie geschlachtet. Doch ihr Fleisch ist vergleichsweise zäh und faserig – typische Suppenhühner also.
In Deutschland und Europa essen zwar sehr viele Menschen gerne Eier. Aber nur wenige kochen sich hin und wieder selbst eine Hühnerbrühe (obwohl sie, mit Lorbeerblättern und Petersilie, ein Wundermittel gegen Erkältung ist). Hans-Wilhelm Windhorst liefert die Zahlen: Allein in Deutschland werden nach seiner Schätzung bis zu 50 Millionen Legehennen im Jahr geschlachtet, in Europa sind es rund 400 Millionen. Es gibt auf dem Markt folglich ein strukturelles Überangebot an Suppenhühnern, und genau die betrifft der Barnevelder Hähnchenzins.
Wie aber kam es zu dem plötzlichen extremen Preisverfall in den vergangenen Wochen? Dafür gibt es, hört man sich in der Suppenhuhn-Szene um, drei Erklärungen.