Altersvorsorge : Garantien für Lebensversicherungen sollen stark fallen
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Die Welt der Altersvorsorge verändert sich radikal: Jahr für Jahr zu beobachten auf der Maklermesse DKM in Dortmund, die in diesem Jahr online stattfand. Bild: Edgar Schoepal
Die Zinsen dürften nach der Corona-Krise kaum wieder steigen. Deshalb schlägt ein Gremium von Versicherungsmathematikern nun einen radikalen Schritt vor. Um die Garantien ist es nicht gut bestellt.
Die deutschen Versicherungsmathematiker empfehlen angesichts der Aussichten auf noch niedrigere Zinsen, die Verzinsung von Lebensversicherungen erheblich zu senken. Der zulässige Höchstrechnungszins solle von 0,9 auf 0,25 Prozent gesenkt werden, forderte die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) am Mittwoch. Die Mathematiker geben als brancheneigene Sachverständige jedes Jahr eine Empfehlung an das Bundesfinanzministerium ab, das auf dieser Basis den Höchstrechnungszins festsetzt.
„Der Höchstrechnungszins ist unverändert ein wichtiges Instrument zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der handelsrechtlichen Zinsverpflichtungen“, ließ sich der DAV-Vorsitzende Guido Bader in einer Mitteilung zitieren. „Für die Unternehmen und ihre verantwortlichen Aktuare ist diese politische Vorgabe die entscheidende Richtschnur für die unternehmensspezifische Festlegung des jeweiligen Garantie- und Rechnungszinses“.
„Nun schnell eine Riester-Reform auf den Weg bringen“
In den Jahren nach der Marktliberalisierung 1994 hat sich das Ministerium, das derzeit von Olaf Scholz (SPD) geführt wird, an die Empfehlung der Mathematiker gehalten. Doch als sich die Niedrigzinssituation Anfang des vergangenen Jahrzehnts verschärfte, haben die Berliner Beamten in der Ära von Minister Wolfgang Schäuble (CDU) auch schon gegen den Rat der Aktuare den Zins gesenkt. „Der Vorschlag für eine Absenkung des Höchstrechnungszinses ist wegen der nochmals gesunkenen Zinsen nachvollziehbar“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands GDV, Jörg Asmussen. „Der Gesetzgeber sollte nun schnell eine Riester-Reform auf den Weg bringen. Insbesondere muss die bisher verlangte Beitragsgarantie gelockert werden, um weiterhin eine sicherheits- und chancenorientierte Anlage der Kundengelder zu ermöglichen.“
Früher war er das zentrale Steuerungsinstrument für die klassisch gestaltete Lebensversicherung mit jährlich fest zugesagtem Zinssatz. Der Höchstrechnungszins heißt so, weil Versicherer bilanziell ihre künftigen Verpflichtungen maximal mit diesem Wert abzinsen dürfen. Höher als diesen Zinssatz dürfen sie also auch ihre Garantien für die Kunden nicht setzen. In den vergangenen Jahren haben die Anbieter die jährlichen Garantien wegen der niedrigen Zinsen immer stärker zurückgefahren.
Die Rechnungszinsänderung, die das Finanzministerium beschließen müsste, beträfe nur Neuverträge, von denen immer weniger mit klassischer Garantie verkauft werden. Vor allem geförderte Produkte wie die Riester-Rente sind eingeschlossen, bei ihnen gilt eine strenge Beitragsgarantie. Obwohl zusätzlich mit dem Aufsichtsrecht Solvency II weitere Kapitalanforderungen festgelegt wurden, wollen die Aktuare dennoch an dem Instrument festhalten. Bader verlangte, dass die Bundesregierung schon im ersten Quartal des kommenden Jahres entscheiden sollte, damit sich die Versicherer darauf einstellen können.
Allianz senkt Überschussbeteiligung
Gleichzeitig mit dieser Entscheidung gab der deutsche Marktführer in der Lebensversicherung bekannt, seine Überschussbeteiligung abermals zu senken. Die Allianz Leben senkt für klassische Produkte ihre Gesamtverzinsung um 0,2 Prozentpunkte auf 2,9 Prozent. Darin enthalten sind schon die endfälligen und nur einmalig anfallenden Komponenten. Die jährliche Verzinsung liegt somit nur noch bei 2,3 Prozent. Schon seit einigen Jahren hat das Unternehmen seine Kunden stärker auf ihr Vorsorge-Produkt Perspektive gelenkt, bei dem die Garantien und die Verrentungsfaktoren nur bis zum Beginn des Rentenalters zugesichert sind. Hier liegt die Überschussbeteiligung bei 2,4 Prozent und die Gesamtverzinsung für einen jetzt ausscheidenden Kunden bei 3,2 Prozent.
„Mit der Entscheidung zur Gesamtverzinsung setzen wir uns weiterhin deutlich von anderen vergleichbar sicheren Anlagen ab, bei denen Kunden seit Jahren mit Null-und Negativzinsen leben müssen“, sagt Andreas Wimmer, Vorstandsvorsitzender von Allianz Leben. Jetzt gehe es darum, noch höhere Freiheitsgrade in der Kapitalanlage zu erreichen. Das könne durch noch niedrigere Garantien geschehen. Denn die Garantien zwingen Versicherer in niedrigverzinste festverzinsliche Wertpapiere.
In dieser Frage ziehen Aktuare und Marktführer an einem Strang. „Produkte mit einer 100-Prozent-Beitragsgarantie sind in der heutigen Negativzinswelt aktuariell nicht mehr sinnvoll. Sie verengen die Spielräume für eine Kapitalanlage im Sinne der Versicherten“, sagte der DAV-Vorsitzende Bader. Das wäre bedenklich, da nicht absehbar sei, dass die Verzinsung von festverzinslichen Wertpapieren in den kommenden Jahren wieder steigen werden. Deshalb halten die Aktuare einen niedrigeren Höchstrechnungszins für unvermeidbar.
„Obwohl die Versicherer ihre Kapitalanlagen in den vergangenen Jahren bereits auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld angepasst haben, spiegeln sich die jüngsten Kapitalmarktverwerfungen unweigerlich in den Kapitalanlageergebnissen der Unternehmen wider“, sagte Bader. „Zudem hat die Europäische Zentralbank kürzlich angekündigt, dass sie Spielraum für weitere Zinssenkungen sieht.“