Fresenius-Chef Sturm : Kein Rückzug aus Russland
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Ein Krankenhaus-Mitarbeiter bereitet ein Dialysegerät vor. Bild: dpa
Fresenius ist weiterhin in Russland tätig. Der Vorstandsvorsitzende des Gesundheitskonzerns erklärt in einem Gastbeitrag, wie sich sein Unternehmen im Ukrainekrieg verhält – und warum.
Seit gut zwei Monaten tobt in der Ukraine ein grausamer Krieg – ein von der russischen Führung begonnener Angriffskrieg, den ich aufs Schärfste verurteile. Als Gesundheitskonzern kämpft Fresenius für das Leben. Putins Armee kämpft dafür, ein ganzes Land zu verwüsten. Und beendet dabei viele Leben mit einer Menschenverachtung und Brutalität, die auch mich fassungslos macht.
Stolz bin ich dagegen auf die heroischen Leistungen unserer Beschäftigten in der Ukraine. Bis zum Kriegsbeginn haben wir unter anderem drei Dialysezentren im Land betrieben. Chronisch Nierenkranke erhalten dort ihre regelmäßige und lebensnotwendige Blutwäsche. Zwei der Zentren liegen in Charkiw und Tschernihiw – Städtenamen, die seit den erbarmungslosen russischen Angriffen nun jeder von uns kennt.
Wut auf ein System, das so eine barbarische Kriegstreiberei zulässt
Wochenlang hielten unsere Beschäftigten den Betrieb am Laufen, trotz der ununterbrochenen Bombardements, der sich zuspitzenden Lage, der ständigen Sorge um das Wohl ihrer Familien und auch ihr eigenes. Ende März gelang es uns schließlich, die Patienten beider Dialysezentren zusammen mit ihren Angehörigen zu evakuieren und in relative Sicherheit zu bringen. Außerdem arbeiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unermüdlich daran, dringend benötigte Medikamente, Blutkonserven und andere Medizinprodukte ins Land zu bringen, trotz der zunehmend komplizierten Logistik.
Diese und viele ähnliche Geschichten zu hören berührt mich einerseits zutiefst. Andererseits macht es mich auch unfassbar wütend. Wütend auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und wütend auch auf ein System, das so eine barbarische Kriegstreiberei zulässt. Und trotzdem ist Fresenius weiterhin in Russland tätig und wird es auch bleiben. Denn auch das gehört zu unserer Verantwortung als Gesundheitskonzern. Wir betreiben in Russland rund 100 Dialysezentren und versorgen Krankenhäuser und andere Einrichtungen mit wichtigen Arzneimitteln und klinischer Ernährung.
Selbst im Angesicht der Gräueltaten in Butscha und vielen anderen Orten können wir unsere Patientinnen und Patienten in Russland nicht einfach im Stich lassen. Wir müssen sie weiter medizinisch versorgen. Ein Fast-Food-Restaurant lässt sich einfach schließen – ein Dialysezentrum nicht. Wäre Fresenius ein Konsumgüter-Hersteller, hätten wir uns schon längst aus Russland zurückgezogen. Aber wir sind ein Gesundheitskonzern.
Dem Schutz von Leben und Gesundheit verpflichtet
Auf unsere lebenswichtigen und lebensrettenden Produkte und Dienstleistungen sind unsere Patientinnen und Patienten angewiesen – auch in Russland. Es gibt dort dafür keinen Ersatz, zumindest nicht kurzfristig. Und auch wenn es russische Soldaten sind, die in der Ukraine kämpfen und töten – wir können und dürfen Menschenleben nicht gegeneinander aufrechnen. Das würde uns selbst unserer Menschlichkeit berauben. Ich kann den Impuls verstehen, ein Zeichen setzen zu wollen. Irgendetwas zu tun angesichts der furchtbaren Verbrechen des russischen Regimes und der russischen Armee. Bei allem berechtigten Zorn dürfen wir uns aber nicht zu kaltem Zynismus hinreißen lassen.
Wir sind dem Schutz von Leben und Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten verpflichtet – all unserer Patientinnen und Patienten. Wir können ihnen nicht einfach die lebensnotwendige Behandlung versagen und sie dann kaltblütig sterben lassen. Und unsere Ärztinnen und Ärzte, die einen Eid geschworen haben, können es erst recht nicht. Das ist übrigens auch der Grund, warum Medikamente genauso wie Lebensmittel selbst von schwersten Sanktionen grundsätzlich nie betroffen sind.
Sämtliche Investitionen sind auf Eis gelegt
Ich darf Ihnen versichern, dass es keinerlei wirtschaftliche Gründe für die Aufrechterhaltung der Patientenversorgung in Russland gibt: Wir verdienen dort derzeit und auf absehbare Zeit kein Geld. Und natürlich kann das derzeitige Russland kein Markt sein, in dem wir weiter expandieren. Sämtliche Investitionen dort haben wir auf Eis gelegt. Und wir werden weiterhin ausschließlich das in Russland anbieten, was von unseren Patientinnen und Patienten dringend benötigt wird.
Ich hoffe inständig auf einen Sinneswandel der russischen Führung. Das Kämpfen und das sinnlose Sterben in der Ukraine müssen sofort aufhören. Präsident Putin hat es in der Hand. Ich wünsche mir von ganzem Herzen ein Ende der Gewalt und Frieden in der Region.
Stephan Sturm ist Vorstandsvorsitzender des Gesundheitskonzerns Fresenius.