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Streiks, Blockaden, Schulden : Frankreich droht die Lähmung

Rentenproteste am Mittwoch in Paris Bild: Reuters

Die Rentenstreiks gehen weiter – mit Folgen für Frankreichs Zukunft. Neue Reformpläne drohen sich zu verzögern.

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          An ihrem nunmehr neunten „Aktionstag“ haben die französischen Gewerkschaften am Donnerstag abermals landesweite Proteste gegen die geplante Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron lanciert. Hunderttausende Bürger gingen auf die Straße. Im Gegensatz zu Deutschland dürfen in Frankreich auch die meisten Beamten streiken. Weil dadurch wie in Deutschland grundsätzlich auch der Lohnanspruch entfällt, entschädigt die größte französische Gewerkschaft CFDT etwa ihre Mitglieder mit 8 Euro je Streikstunde.

          Niklas Záboji
          Wirtschaftskorrespondent in Paris

          Die Streiks treffen weite Teile des öffentlichen Lebens. Lehrer, Lokführer, Metrofahrer und Angestellte der Kernkraftwerke erschienen am Donnerstag nicht zur Arbeit. Gewerkschaftsvertreter blockierten Teile des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle. Insgesamt wurden an den französischen Flughäfen 20 bis 30 Prozent der Verbindungen annulliert. Wegen der mittlerweile schon über Wo­chen anhaltenden Streiks der Müllabfuhr stapeln sich in einigen Vierteln der Hauptstadt nach wie vor mehrere Tausend Tonnen Abfall, der sich teilweise zerfleddert über die Straßen verteilt und für Gestank sorgt.

          Im Chaos versinkt Frankreich nicht. In vielen Unternehmen wird seit Wochen ohne große Beeinträchtigung verstärkt von zu Hause aus gearbeitet, und selbst im Pariser Zentrum läuft die Gastronomie und Hotellerie wie gewohnt. Doch vor allem Autofahrer bekommen die Auswirkungen der Streiks zu spüren. Denn neben der Müllabfuhr werden auch Raffinerien und Kraftstoffdepots nun schon seit Wochen bestreikt. Fast jeder fünften französischen Tankstelle mangelt es ak­tuell an Benzin oder Diesel. In Regionen wie dem Südosten ist die Lage weitaus dramatischer, im Departement rund um Marseille ist mehr als die Hälfte der Tankstellen komplett leergelaufen.

          Langfristig drohen Beeinträchtigungen

          Wie bei den Raffineriestreiks im vergangenen Herbst bilden sich lange Warteschlangen vor den Zapfsäulen. Wie damals verpflichtete die Regierung Be­schäftigte unter der Androhung harter Strafen abermals zur Arbeit. Selbst die Erdgasversorgung ist betroffen. Der Streik von Hafenarbeitern behindert seit Wochen die Einfuhr von Flüssiggas, was die Entleerung der Gasspeicher deutlich beschleunigt hat. Mit rund 28 Prozent liegt ihr Füllstand nach Zahlen der Transparenzplattform GIE AGSI deutlich unter dem aktuellen Durchschnitt in der EU (56 Prozent) und den für Deutschland ausgewiesenen 64 Prozent.

          Nennenswerte Bremsspuren in Frankreichs Wirtschaftsentwicklung gibt es bislang nicht. Wie in Deutschland sind Konjunkturforscher für die kurze Frist sogar optimistischer geworden: Anfang der Woche verdoppelte die Banque de France ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr gar auf 0,6 Prozent. Sie verwies zur Begründung allem voran auf die ge­sunkenen Energiepreise und die im Winter abgewendeten Versorgungsengpässe.

          Langfristig droht der politische Konflikt um die geplante Rentenreform je­doch sehr wohl auch die französische Wirtschaft zu beeinträchtigen. Reaktionen von Gewerkschaften und Opposition auf die Fernsehansprache von Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch lassen keine Annäherung vermuten.

          Weitere Reformprojekte könnten ausgebremst werden, obwohl das Gesetzesvorhaben für den beschleunigten Atomkraft-Ausbau diese Woche in erster Lesung von der Nationalversammlung mit breiter Zu­stimmung von Links bis Rechts angenommen wurde. Einen Vorgeschmack auf die Lähmung gibt Macrons Ankündigung am Mittwoch, die geplante Einwanderungsreform zu vertagen – obwohl sich die vom Fachkräftemangel geplagte Wirtschaft viel davon erhofft.

          Wirtschaftlichen Risiken „eher gestiegen“

          Frankreichs Reformmotor drohe „abzusaufen“, mahnt Armin Steinbach, Professor für Recht und Wirtschaft an der Pariser Universität HEC. Er betont, dass Macron mit viel Reformwillen und Re­formfähigkeit gestartet sei, die Unternehmenssteuern gesenkt und die Arbeitsmarkt- und Vermögensteuerreform durchgesetzt hat.

          „Das waren alles wichtige Maßnahmen, die sich positiv auf Frankreichs Wirtschaftszahlen ausgewirkt haben“, sagt Steinbach mit Blick auf das Rekordtief bei der Arbeitslosigkeit und die jüngsten Wachstumszahlen. Auch in der Inflations- und Energiekrise sei Frankreich reformfähiger als Deutschland gewesen. „Die Gas- und Strompreisbremsen waren lange vor uns auf den Weg gebracht und die Macron-Prämie zu den abgabenfreien Lohneinmalzahlungen haben wir uns in Frankreich gewissermaßen abgeguckt.“

          Der französische Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, dennoch sind die Erwerbsquoten nach wie vor niedriger als in vielen anderen Ländern, schreiben die Ökonomen der Pariser Vermögensverwaltung Amundi. Rentenreform, reformierte Berufsausbildung und die jüngste Arbeitslosengeldreform versprächen zwar Besserung. Doch auch sie mahnen: Kurzfristig sind die wirtschaftlichen Risiken aufgrund der Unsicherheit durch Streiks und soziale Un­ruhen „eher gestiegen“.

          Im französischen Wirtschaftsministerium will man bislang keinen stockenden Reformmotor eingestehen. Die Priorität liegt nach Angaben einer Sprecherin für die kommenden Monate auf drei Vorhaben: Dem „Grüne-Industrie-Gesetz“ zur beschleunigten Dekarbonisierung, dem Gesetz zur stärkeren Regulierung von Influencern und der Senkung der öffentlichen Ausgaben. Macron wiederum hatte am Mittwoch auch seinen Willen bekräftigt, auch auf den Feldern Ökologie, Bildung und Gesundheit Fortschritte zu erzielen.

          Über allen Vorhaben schwebt jedoch die hohe Staatsverschuldung. Sie engt die Verteilungsspielräume angesichts der gestiegenen Zinsen ein. Schon im vergangenen Jahr kam dem französischen Staat seine Schuldenlast mit rund 42 Milliarden Euro teuer zu stehen. In diesem Jahr werden es schätzungsweise mehr als 50 Milliarden Euro werden. Zum Vergleich: das jährliche Justizbudget beträgt nur 10 Milliarden Euro.

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          „Es reicht aus, wenn man die Muskulatur zweimal die Woche trainiert“, sagt Jürgen Gießing.

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