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Maßnahmen gegen Coronafolgen : Hartz IV wird zur Stütze in der Krise

Arbeitsminister Hubertus Heil Bild: dpa

Ein neues Gesetz sichert Erwerbstätigen besseren Zugang zu ergänzenden Einkommenshilfen. Doch Gewerkschaften zeigen sich verärgert.

          3 Min.

          Als Reaktion auf die Folgen der Corona-Pandemie bereitet die Bundesregierung nun eine Lockerung wichtiger Hartz-IV-Vorschriften vor. Arbeitnehmer und Selbständige, deren Lebensunterhalt durch das abrupte Herunterfahren der Wirtschaft gefährdet ist, erhalten damit leichter Zugang zu aufstockenden Geldleistungen der Grundsicherung. Beispielsweise müssen die Jobcenter bald nicht mehr prüfen, ob ein Antragsteller noch eigenes Vermögen auf der hohen Kante hat oder ob seine aktuellen Wohnkosten nach sozialrechtlichen Kriterien zu hoch sind. Das sieht ein neuer Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor, den das Bundeskabinett an diesem Montag zusammen mit dem Nachtragshaushalt 2020 und weiteren Rechtsänderungen beschließen will.

          Dietrich Creutzburg
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

          Mit den Lockerungen im Bereich Hartz IV könnten nach Schätzung des Ministeriums bald allein bis zu eine Million Solo-Selbständige und Inhaber von Kleinbetrieben neu zu Hilfebeziehern der Grundsicherung werden. „Zusammen mit weiteren Anspruchsberechtigten wäre eine maximale Größenordnung von 1,2 Millionen zugehenden Bedarfsgemeinschaften infolge der Corona-Krise und dieser Regelung möglich“, heißt es in dem der F.A.Z. vorliegenden Gesetzentwurf. Vor der Krise hatte es rund 3 Millionen sogenannte Bedarfsgemeinschaften, also Hartz-IV-Haushalte, gegeben; dies wäre also eine Steigerung um gut ein Drittel. Die damit verbundenen Mehrausgaben schätzt das Ministerium auf rund 10 Milliarden Euro.

          Verzicht auf detaillierte Prüfungen in Jobcentern

          Da Selbständige in der Regel nicht arbeitslosenversichert sind, stehen ihnen bei plötzlichem Wegfall der Einkommensgrundlage meist keine anderen Sozialleistungen wie Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld zu. Heils Sozialpaket ist damit insoweit als Ergänzung des neuen „Sofortprogramms“ für Kleinunternehmer angelegt, das deren Geschäftsbetrieb durch Zuschüsse etwa für Mietzahlungen stützen soll und welches die Regierung jetzt ebenfalls beschließen will. Mit dem Hartz-IV-Paket wird zudem festgelegt, dass betroffene Selbständige an ihrem in die Krise gerutschten Geschäft vorerst festhalten dürfen – und nicht etwa vom Jobcenter in andere Jobs vermittelt werden sollen.

          Der leichtere Zugang zu aufstockenden Hartz-IV-Leistungen schafft jedoch auch für Arbeitnehmer in Kurzarbeit mehr Sicherheit. Vor allem in Berufen mit geringem Lohnniveau kann der Einkommensverlust (Kurzarbeitergeld ersetzt 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns) leicht dazu führen, dass Betroffene unter die sozialrechtlichen Mindestbedarfe rutschen. Der Verzicht auf detaillierte Prüfungen in den Jobcentern soll nun auch sicherstellen, dass Anträge zügig bewilligt werden.

          Gewerkschaften verärgert über Kurzarbeitregelung

          Weiterer Baustein des Sozialpakets ist ein erleichterter Zugang zum Kinderzuschlag, der in dieser Krise ebenfalls wachsende Bedeutung erhalten dürfte. Den Zuschlag zum Kindergeld von bis zu 185 Euro im Monat erhalten Arbeitnehmerhaushalte mit Kindern, deren Einkommen knapp unter den sozialrechtlichen Bedarfssätzen für Familien liegen. Durch Kurzarbeit dürften nun auch viele Haushalte, die sonst deutlich über der Schwelle liegen, anspruchsberechtigt werden.

          Die Gewerkschaften reagierten jedoch ungehalten auf Heils Sozialpaket, das zunächst bis September gelten soll: Sie streiten vor allem für ein höheres Kurzarbeitergelds – etwa durch Zuschläge aus den Kassen der Unternehmen. Dazu enthält das Gesetz nichts. Deshalb „drohe“ nun „Millionen Beschäftigten der schnelle Weg in staatliche Sozialleistungen“, kritisierte am Sonntag Verdi-Chef Frank Werneke. Dass Betriebe mit den Entlastungen bei Kurzarbeit „zu 100 Prozent“ unterstützt würden, Kurzarbeiter aber nur „zu 60 Prozent“, sei „krass ungerecht“, schimpfte er.

          Heil bereitet indes noch eine Lohnsicherung für Eltern vor, die nur wegen fehlender Kinderbetreuung nicht arbeiten können. Sie sollen nun notfalls auch länger Lohnfortzahlung des Arbeitgebers beanspruchen können; dessen Mehrausgaben soll dann teils der Staat erstatten. Heil hatte dies schon am Mittwoch angekündigt, Einzelheiten blieben aber zunächst offen.

          Teil des neuen Gesetzes sind dagegen auch Regelungen, die direkt die Seuchenbekämpfung betreffen: Für den Fall einer weiteren Verschärfung der Notlage sollen gesetzliche Arbeitszeitvorschriften für Beschäftigte in der Daseinsvorsorge künftig per Rechtsverordnung schneller gelockert werden können. Außerdem soll eine Änderung im Rentenrecht sicherstellen, dass etwa Pflegekräfte im Vorruhestand kurzfristig in den Beruf zurückkehren können – ohne dass ihnen, wie bisher, der Lohn dann auf die Rente angerechnet wird.

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