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Flutschäden : Steuern statt Schulden

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Flutschäden gehen in die Milliarden

Flutschäden gehen in die Milliarden Bild: AP

Die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform ist umstritten. Dabei dürfte der konjunkturelle Effekt der Maßnahme begrenzt bleiben. Analyse.

          3 Min.

          Die Entscheidung der Bundesregierung zur Finanzierung des Wiederaufbaus in Ostdeutschland war ein wenig wie jene zwischen Pest und Cholera - egal welches Mittel herangezogen worden wäre, es hätte Kritik gesetzt.

          Dass die enormen Schäden der Flutkatastrophe nicht einfach durch Umschichtungen innerhalb eines ohnehin angespannten Haushalts finanziell zu bewältigen sein würden, zeichnete sich bereits in den vergangenen Tagen ab. Und auch die am Wochenende in Aussicht gestellten Milliarden aus Brüssel entpuppten sich bei näherer Betrachtung als die ohnehin für den wirtschaftlichen Aufbau des Ostens zugesagten Strukturhilfen. Nähme man diese zur Linderung der Flutschäden, fehlten sie an anderen Stellen.

          Höhere Neuverschuldung vermeiden

          So oder so war man auf zusätzliche Mittel angewiesen, die entweder durch eine Steuererhöhung oder eine Neuverschuldung aufgebracht werden mussten. Auch wenn verschiedene Forschungsinstitute wie das DIW in Berlin eine Neuverschuldung um einige Milliarden als vertretbar bezeichnet haben und diese aufgrund der Notlage ohnehin mit dem Maastrichter Vertrag vereinbar gewesen wäre, hat sich die Bundesregierung gegen einen solchen Schritt entschieden.

          Zwar hatte Bundeskanzler Schröder in der vergangenen Woche noch getönt, ihn interessiere das Defizitkriterium des Stabilitätspaktes, wonach die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben muss, nicht. Doch offenbar wollte sich die Regierung nicht erneut als Schuldenmacher an den Pranger stellen lassen. Nach dem peinlichen Tauziehen um den letztlich ausgesetzten „blauen Brief“ aus Brüssel im Frühjahr hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Eine Neuverschuldung hätte fast zwangsläufig eine Abweichung von diesem Ziel bedeutet und in den kommenden Monaten vermutlich ein Wiederaufflackern der Diskussion um die deutsche Glaubwürdigkeit gebracht. Wenig attraktiv für eine Regierung, die eine solide Haushaltspolitik zu ihren Aktivposten zählen möchte.

          Keine Steuersenkung statt Steuererhöhung

          Also blieb als weitere Alternative eine Steuererhöhung. Eine neue Abgabe wie einen „Flut-Cent“ wollte man wiederum tunlichst vermeiden, schließlich sind bald Bundestagswahlen, und da machen sich Steuererhöhungen nie besonders gut. Also griff man in die Trickkiste und zog zur Überraschung von Freund und Feind die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform um ein Jahr heraus. Finanziell bedeutet das immerhin sieben Milliarden Euro.

          Semantisch bedeutet die Maßnahme tatsächlich keine Steuererhöhung, sondern nur die Aussetzung einer Senkung. Doch für die Bürger sowie für den Mittelstand, der gerade durch diese zweite Stufe stärker entlastet werden sollte, bedeutet die Verschiebung dennoch eine Belastung. Schließlich ergibt sich damit eine Verlängerung von Einschränkungen.

          Konjunkturneutraler Effekt

          Die Frage ist nun, wie sich dieser Schritt konjunkturell auswirkt. Zunächst einmal wird er nicht zur Ankurbelung des ohnehin schleppenden Konsums beitragen, ein erhoffter Stimulus fällt aus. Da jedoch erfahrungsgemäß ein Teil von Steuersenkungen gerade in konjunkturell angespannten Zeiten ohnehin nicht ausgegeben, sondern gespart wird, ist es für die Gesamtwirtschaft unter Umständen sogar vorteilhafter, wenn das Geld nun vom Staat zusätzlich ausgegeben wird.

          Auf der anderen Seite könnte die Verschiebung die Investitionsbereitschaft gerade mittelständischer Unternehmen weiter bremsen, die ersehnte konjunkturelle Erholung könnte sich weiter hinauszögern. Auch hier wird als Gegenargument von Ökonomen angebracht, dass die Sonderausgaben für den Wiederaufbau ein gigantisches Konjunkturprogramm darstellen, die die negativen Wirkungen der verschobenen Steuerreform kurzfristig in etwa ausgleichen dürften. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Mittel tatsächlich zur Behebung der Schäden eingesetzt werden, ansonsten hätte die Verschiebung einen konjunkturdämpfenden Effekt.

          Unpopuläre Signalwirkung

          In ersten Stellungnahmen rechneten die meisten Volkswirte nicht mit einer bedeutsamen konjunkturellen Auswirkung der beschlossenen Maßnahme, die Wachstumsprognosen für das kommende Jahr wurden (noch) nicht revidiert. Insgesamt wäre es sicher besser gewesen, die sieben Milliarden Euro an anderen Stellen der öffentlichen Haushalte einzusparen. Hier fehlte offenbar der Spielraum. Vielleicht hätte die Bundesregierung auch abwarten sollen, bis die ganze Dimension der Schäden erfassbar ist - ob der Wiederaufbau tatsachlich zwischen zehn und 15 Milliarden Euro kosten wird, wie etwa die Allianz schätzt, ist derzeit noch gar nicht absehbar. Möglicherweise fallen die Schäden auch deutlich geringer aus, wird schon spekuliert.

          Dass sich die Bundesregierung dennoch zur Verschiebung der Steuererleichterungen entschieden hat, ist ein mutiger, weil unpopulärer Schritt. Er signalisiert, dass Rot-Grün es mit dem eingeschlagenen Weg der haushaltspolitischen Solidität ernst meint. Das ist auch ein Signal an andere europäische Länder.

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