F.A.Z.-Elite-Panel : Die EU kann alles – nur keine Sicherheit
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Selbst das bevorstehende Ausscheiden des Vereinigten Königreichs schmälert die positive Stimmung nicht. Bild: Reuters
In deutschen Chefetagen ist der Konjunkturoptimismus auf ein Zehnjahreshoch gestiegen – trotz Trump und trotz des Brexits. Nur dem Militär trauen sie wenig zu.
Beflügelt von enormer Zuversicht für die deutsche Wirtschaft, wächst in den Eliten des Landes auch das Zutrauen zur Kraft der Europäischen Union. Trotz der Ungewissheiten rund um den Austritt der Briten oder die anhaltenden Querelen um die Flüchtlingsverteilung glauben die Spitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung derzeit mit großer Mehrheit an eine gute Zukunft der EU. Aus ihrer Sicht bewirkt die Außenpolitik des protektionistischen Präsidenten Donald Trump ein Zusammenrücken der EU-Mitglieder. Es werde Europa daher auch ohne enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gelingen, seine Interessen in der Welt konsequent zu verfolgen, erwarten fast zwei Drittel der 521 Entscheider, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach für die F.A.Z. und die Zeitschrift „Capital“ Ende Juni dazu befragt hat.
Besondere Hoffnungen setzen die Führungsspitzen in den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Ihm trauen drei Viertel zu, dass er Frankreich tatsächlich reformiert. Auch Macrons ersten, noch vagen Vorschlägen zur Reform der EU stehen die deutschen Eliten aufgeschlossen gegenüber. Fast zwei Drittel halten die Einsetzung eines europäischen Finanzministers zur Verwaltung des gemeinsamen EU-Haushalts und zur Planung und Kontrolle europäischer Projekte für eine gute Idee. Selbst für die Einführung einheitlicher sozialer Mindeststandards in der EU kann sich eine Mehrheit erwärmen.
Mehrheit befürwortet höhere Verteidigungsausgaben
In einem Punkt allerdings fehlt es an Zuversicht: Sicherheitspolitisch und militärisch könne die EU nicht auf eigenen Füßen stehen, befürchten 69 Prozent der Führungsspitzen. Sie zweifeln daran, dass die EU genügend eigene militärische Stärke aufbringen wird, um sich auch auf diesem Feld von den Vereinigten Staaten zu lösen und eigenverantwortlich zu handeln.
Eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben hält eine Mehrheit gleichwohl für wichtig oder sehr wichtig. Nur eine Minderheit der Führungskräfte ist überzeugt, dass die Bundeswehr in ihrem derzeitigen Zustand für die Bündnisaufgaben im Rahmen der Nato materiell ausreichend gerüstet ist. Besonders skeptisch ist hier die Wirtschaft. Die befragten Politiker schätzen den Zustand der Bundeswehr als etwas besser ein. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht lehnen Politiker klar ab, während die Hälfte der befragten Unternehmer und Manager dafür wäre.
Etwas größer geworden ist die Bereitschaft der deutschen Eliten, den Briten in den schwierigen Austrittsverhandlungen entgegenzukommen. Vor einem Jahr, als der Schock über den Ausgang des britischen Referendums noch frisch war, hatte mehr als die Hälfte der Eliten gefordert, Großbritannien die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft dann eben auch konsequent zu entziehen. Mittlerweile spricht sich fast die Hälfte dafür aus, den Briten weiterhin Vorteile zu gewähren. Das Entgegenkommen gilt aber nicht für die von der britischen Regierung gewünschte Abschaffung der Personenfreizügigkeit. Die freie Wahl des Arbeitsorts innerhalb der EU ist für 84 Prozent untrennbar mit dem freien Handel im Binnenmarkt verbunden. Über beide Punkte sollte die EU mit den Briten daher nicht getrennt beraten, verlangt eine überwältigende Mehrheit der Befragten.
Trump-Kritik ohne Rücksicht auf transatlantische Beziehungen
Diese Befunde spiegeln sich auch in den Antworten auf die Frage nach den außenpolitischen Prioritäten für die nächste Bundesregierung. Diese sollte die Stärkung des Zusammenhalts in der EU ganz oben auf die Agenda setzen, verlangen neun von zehn der Befragten. Kurz dahinter rangiert der Wunsch nach einer intensiveren Zusammenarbeit mit Frankreich. Das Bemühen um bessere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten hält hingegen nur eine knappe Hälfte für sehr wichtig. Das könnte aber auch daran liegen, dass die allermeisten Führungskräfte bisher nicht glauben, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis durch Trump dauerhaften Schaden erleidet. Was den Umgang mit Trump betrifft, halten es 90 Prozent für richtig, dass Deutschland seine Kritik an der Politik des Präsidenten deutlich und ohne Rücksicht auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen äußert.
Mit 521 Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung ist das F.A.Z.-Capital-Elite-Panel die am ranghöchsten besetzte repräsentative Umfrage in Europa. Unter den Teilnehmern sind 85 Vorstände von Unternehmen mit mehr als 20000 Beschäftigten, 24 Minister und Ministerpräsidenten und 33 Leiter von Bundes- und Landesbehörden. Weitere Ergebnisse des Panels – zum Urteil der Eliten über die große Koalition und die Chancen der Kanzlerkandidaten – erscheinen an diesem Samstag.