Tarifstreit bei EVG und Verdi : Ist ein solcher Großstreik denn überhaupt erlaubt?
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Am Montag stehen die Bahnen im Fernverkehr still. Bild: dpa
Einen Streik mit solcher Breitenwirkung gab es in Deutschland lange nicht: Was, wenn man es nicht zur Arbeit schafft? Was Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Reisende jetzt wissen müssen.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahnergewerkschaft EVG legen an diesem Montag in einem gemeinsamen Arbeitskampf den Flugverkehr, den Fern- und Regionalverkehr der Bahn sowie in vielen Regionen auch den öffentlichen Nahverkehr lahm. Inwieweit ein Streikaufruf an Beschäftigte der bundeseigenen Autobahngesellschaft zu Sperrungen etwa von Autobahntunnels führen würde, war im Vorfeld nicht genau absehbar. Besondere Wucht haben die bis Montag, 24 Uhr angesetzten Ausstände vor allem durch die ungewöhnliche Konstellation, dass im Verkehrssektor zwei Gewerkschaften ihre Streikmacht gleichzeitig demonstrieren. Für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Reisende wirft das vielerlei Fragen auf.
Was müssen Beschäftigte beachten, die im Verkehrschaos nicht auf normalem Weg zur Arbeit kommen?
Rein juristisch ist der Fall erst einmal ziemlich klar, wie Arbeitsrechtler betonen: Das sogenannte Wegerisiko liegt beim Arbeitnehmer. Er ist also dafür verantwortlich, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, auch wenn der Weg dorthin ausnahmsweise schwierig ist.
Was aber gilt, wenn man es einfach nicht schafft, zum Arbeitsplatz zu kommen?
Falls der Arbeitgeber nicht von sich aus Kulanz zeigt, werden die Arbeitnehmer zumindest nachweisen müssen, dass sie mit angemessenem Aufwand versucht haben, zur Arbeit zu kommen. War es aber tatsächlich auf keinem sinnvollen Weg zu schaffen, wird der Arbeitgeber wegen der Fehlzeit keine Abmahnung oder gar Kündigung durchsetzen können. Auf der anderen Seite muss er allerdings für die ausgefallene Zeit auch keinen Lohn zahlen. Der Arbeitgeber muss nur tatsächlich geleistete Arbeitszeiten vergüten, auch wenn beide Seiten nichts für den Ausfall können.
Ist ein solcher Großstreik denn erlaubt?
Da kein gesetzliches Regelwerk für Arbeitskämpfe existiert, ist er auf jeden Fall nicht offensichtlich verboten. Aus der Rechtsprechung ergibt sich theoretisch eine Begrenzung: Auch für Warnstreiks gilt das Ultima-Ratio-Prinzip – die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Tarifkonflikts müssen ausgeschöpft sein. Das spräche dagegen, dass Gewerkschaften wie in diesem Fall die EVG schon nach einer einzigen Verhandlungsrunde streiken. Die Einschätzung, ob der Weg friedlicher Verhandlungen ausgeschöpft ist, liegt nach der Rechtsprechung allerdings in der Hand der Tarifparteien. Es ist für einen Warnstreik nicht erforderlich, dass die Gewerkschaft das Scheitern der Verhandlungen erklärt.
Ist das überhaupt noch ein Warnstreik oder schon ein Arbeitskampf?
Eine klare Unterscheidung zwischen Warnstreiks und härteren Formen des Arbeitskampfs gibt es nicht mehr. Das zeigt auch die Kommunikation von Verdi und EVG, die zur Bezeichnung des aktuellen Geschehens beide Begriffe verwenden. Früher unterschied die Rechtsprechung in Tarifkonflikten zwischen einer Verhandlungs- und einer Erzwingungsphase, in der ersten Phase galt damit eine Beschränkung auf Warnstreiks. Doch schon 1988 ist das Bundesarbeitsgericht davon abgerückt und hat seine Rechtsprechung seither immer weiter gelockert. Gewisse Unterscheidungen ergeben sich aus den Gewerkschaftssatzungen: Vor einem unbefristeten Erzwingungsstreik muss meist eine Urabstimmung unter den Mitgliedern stattfinden. Auf den aktuellen 24-Stunden-Streik im Verkehrssektor trifft das aber nicht zu.
Wird Streikteilnehmern eigentlich für ihre Streikzeiten der Lohn gekürzt?
Wer streikt, hat für die ausfallende Arbeitszeit keinen Entgeltanspruch; dieser wird „suspendiert“, wie die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) auf Anfrage erläutert. Das gilt auch schon für kurze Warnstreiks von wenigen Stunden. Privaten Arbeitgebern steht es theoretisch natürlich frei, ob sie den Lohn in einem solchen Fall tatsächlich kürzen oder nicht. Öffentliche Arbeitgeber sind in dieser Entscheidung hingegen weniger frei – sie dürfen kein Steuergeld verschwenden.
Bekommen die Teilnehmer Streikgeld von der Gewerkschaft?
Für streikende Gewerkschaftsmitglieder trifft das im Fall des aktuellen Verkehrsstreiks zu. Beispiel Verdi: Die Satzungsregeln sehen Streikgeld vor, sofern die Mitglieder von ihrer Gewerkschaft zu einer Arbeitsniederlegung von mindestens vier Stunden Dauer aufgerufen wurden. Die Berechnungsregeln des Streikgelds sind kompliziert. Für Durchschnittsverdiener mit 3500 Euro brutto im Monat können etwa 11 Euro je ausgefallener Stunde herauskommen.