Europas Krise : Europäischer Schuldensozialismus
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Soll die Integration spontan, von unten geschehen - oder zentralistisch von oben? Mit der Schuldenkrise ist Europa in eine Interventionsspirale geraten. Dirigismus und Zentralismus sind auf dem Vormarsch.
Die Geschichte der europäischen Integration lässt sich als ein beständiges Ringen zwischen zwei Richtungen lesen: einer liberalen und einer sozialistischen Vision Europas. Je nach Kräfteverhältnis neigt die Entwicklung mehr in die eine oder in die andere Richtung. Die liberale Seite hält für ein friedliches und blühendes Europa nur eines erforderlich: Freiheit. Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen sollen ungehindert Grenzen überqueren dürfen. Private Eigentumsrechte sind geschützt. Die liberale Tradition geht ideengeschichtlich auf die englisch-schottische Aufklärung und ihr Vertrauen in die Selbstordnungskräfte der Gesellschaft zurück. Die Ordnung ist - wie es Friedrich von Hayek formuliert - eine spontane. Europa soll von unten zusammenwachsen. Die wirtschaftliche Kooperation und Verflechtung stabilisiert den Frieden. Dieses Konzept vertraten traditionell Großbritannien, die Niederlande, aber auch das dezentral organisierte Deutschland. Da der fundamentale christliche Wert die individuelle Freiheit ist, standen und stehen auch die meisten christdemokratischen Parteien dieser Vision nahe.
Die sozialistische Vision hingegen will Europa als Festung ausbauen; protektionistisch nach außen und interventionistisch nach innen. Ihr Ziel ist ein europäischer Zentralstaat, der die Interventionsziele verwirklichen kann. Die Integration erfolgt von oben durch die Vereinheitlichung von Regeln und durch Umverteilung. Diese Vision geht auf die rationalistisch-französische Geistestradition zurück, die Hayek auch „szientistisch“ nannte. Sie stützt sich auf einen übersteigerten Vernunftglauben und eine mechanische Vorstellung des Funktionierens der Gesellschaft. Eine technokratische Elite leitet den Staat zum Wohl der Menschen. Dafür braucht sie eine große Machtfülle.
Auf der Seite der sozialistischen Vision steht traditionell die französische Politelite. Diese suchte nach dem Krieg eine Einbindung Deutschlands und einen Ersatz für das verlorene Kolonialreich. Die Lösung erschien ihr ein europäischer Staat unter französischer Führung. Unterstützung erfährt diese Vision gemeinhin von den Südländern und Sozialdemokraten aller Parteien.
Wilhelm Röpke sah im rationalistisch-kartesianischen Denken den Grund für den Glauben an die Überlegenheit einer Planwirtschaft. Der liberal-konservative Ökonom pries die Vielfalt und den Wettbewerb in Europa. Daher warnte er schon in den fünfziger Jahren: „Wenn wir versuchen wollten, Europa zentralistisch zu organisieren, einer planwirtschaftlichen Bürokratie zu unterwerfen und gleichzeitig zu einem mehr oder weniger geschlossenen Block zu schmieden, so ist das nicht weniger als ein Verrat an Europa.“
„Schleier des Nichtwissens“
Für die Gründerväter Adenauer, Schuman und de Gaspari waren die Schrecken des Krieges noch sehr frisch. Sie standen der liberalen Konzeption noch näher und sahen im Freihandel einen Garant des Friedens; obgleich auch Adenauer der sozialistischen Vision aus außenpolitischen Gründen Zugeständnisse machte. Ein Teilerfolg für die liberale Vision waren die Römischen Verträge von 1957. Sie garantierten die sogenannten vier Grundfreiheiten: freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen. Das Problem aus liberaler Sicht war die Agrarplanwirtschaft. Ludwig Erhard sträubte sich daher gegen die Verträge. Er wollte eine reine Freihandelszone ohne Dirigismus. Erhard befürwortete ein möglichst großes Europa (unter Einschluss von Großbritannien) in der Hoffnung, dass größere Heterogenität der teilnehmenden Nationen einen umverteilenden, dirigistischen Zentralismus in Europa erschwert oder unmöglich macht.