Europäischer Strommarkt : EU-Kommission schlägt kleine Strommarktreform vor
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Bild: Reuters
Brüssel verzichtet darauf, den Strommarkt grundlegend zu verändern. Marginale Eingriffe sollen extreme Preisausschläge verhindern – und Festpreisverträge böse Überraschungen für Verbraucher.
Nach Russlands Angriff auf die Ukraine sind im Sommer 2022 Gas- und Strompreise auf Rekordniveau gestiegen. Allen voran Frankreich oder Spanien forderten eine Grundsatzreform des EU-Strommarkts, um den Strom- vom Gaspreis zu entkoppeln. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte davon lange nichts wissen. Sie gab dem Druck aber schließlich nach und kündigte Reformvorschläge für den EU-Gipfel im März an. Nun ist ein Entwurf dafür durchgesickert, der zeigt: Von einer Grundsatzreform kann keine Rede sein. Die Kommission will exzessiven Schwankungen des Strompreises durch die Stärkung langfristiger Verträge beikommen.
Es gehe um einen „Puffer zwischen den kurzfristig agierenden Märkten und den Stromrechnungen der Verbraucher“, heißt es in dem Entwurf. Er liegt der F.A.Z. vor. An dem 2022 viel diskutierten Merit-Order-System indes hält die Kommission fest. Es besagt, dass der teuerste eingesetzte Energieträger den Preis bestimmt. Solange das Wind- oder Sonnenkraft ist, ist Strom billig. Müssen Kohle- oder Gaskraftwerke angeworfen werden, wird der Strom teuer. Das allerdings setzt genau die richtigen Anreize. Nur wegen der zwischenzeitlich hohen Preise lohnen sich Investitionen in Ökostrom.
Differenzverträge sollen Investitionen in Ökostrom fördern
Die Kommission will große Preisausschläge nun auf zwei Arten verhindern: mit Differenzverträgen („Contracts for Difference“) und langfristigen Abnahmeverträgen zwischen Privatkunden und Erzeuger („Power Purchase Agreements“ oder PPA). Mit Differenzverträgen sollen die EU-Staaten künftig Investitionen in Ökostrom und Atomenergie fördern. In einem Differenzvertrag vereinbaren Staat und Erzeuger etwa für zwanzig Jahre einen Festpreis oder Preiskorridor. Ist der Marktpreis niedriger, zahlt der Staat die Differenz an den Erzeuger, ist er höher, ist es umgekehrt. Im zweiten Fall soll die Differenz dann abhängig vom Verbrauch an die Endkunden verteilt werden.
Das Modell gleicht den Berliner Vorstellungen zur EU-Strommarktreform. Frankreich und Spanien hatten hingegen gefordert, Differenzverträge für beinahe alle Anlagen, auch bestehende, zur Pflicht zu machen – also nicht wie im Kommissionsentwurf auf freiwilliger Basis für neue Investitionen. Das wäre ein viel stärkerer Eingriff in den Markt. Es wäre faktisch die Fortsetzung der 2022 eingeführten zeitlich begrenzten Abschöpfung der „Übergewinne“. Die große Frage dürfte deshalb sein, ob sich die Befürworter weiter gehender Eingriffe damit zufriedengeben. Europaparlament und Ministerrat der Staaten müssen der Reform zustimmen, damit sie in Kraft treten kann. Auch bei den deutschen Ökostromerzeugern kommt die Idee nicht gut an, da sie das bisherige System der Einspeisevergütung ersetzen soll, das Mindest-, aber keine Höchstpreise vorsieht.
Mit PPA schreiben Erzeuger und Kunde für fünf bis zwanzig Jahre Preis und/oder Abnahmemengen fest. Bisher nutzen das Industriekunden, um sich vor Preisschwankungen zu schützen. Für Verträge mit kleineren Kunden ist das Kreditausfallrisiko für die Erzeuger zu groß. Hier soll nach dem Entwurf der Staat etwa mit Garantien helfen, um PPA für alle Kunden zu ermöglichen. Auch ansonsten sollen die Staaten aktiv PPA fördern.
Für die Verbraucher sieht die Reform einen Anspruch auf Festpreisverträge vor. „Risikoscheue Verbraucher können damit sichere, langfristige Preise festschreiben, um Überraschungen zu vermeiden“, heißt es in dem Entwurf. Sie sollen auch parallel Verträge mit mehreren Anbietern abschließen können. Das würde ihnen etwa ermöglichen, für ihre Wohnung einen Festpreisvertrag und parallel dazu einen Vertrag mit flexiblen Preisen abzuschließen, etwa um in Phasen billigen Stroms ihr Elektroauto in der Garage aufzuladen.
In Zeiten außerordentlich hoher Preise kann die Kommission eine Preiskrise erklären. Das erlaubt den EU-Staaten dann, die Strompreise für Verbraucher sowie kleine und mittlere Unternehmen staatlich zu begrenzen. Um zu verhindern, dass das zu einem Anstieg des Verbrauchs führt, soll das aber – wie bei der deutschen Strom- und Gaspreisbremse – auf 80 Prozent des Verbrauchs begrenzt sein.