Euro-Krise : Verfassungsrichter stärken Rechte des Bundestags
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Mit ihrem Urteil entsprechen die Verfassungsrichter einer Klage der Bundestagsfraktion der Grünen. Bild: REUTERS
Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm ESM den Bundestag nicht ausreichend informiert. Künftig müssen die Abgeordneten früher eingebunden werden, nicht erst dann, wenn sie die Handlungen der Regierung nur noch abnicken könnten, sagt das Bundesverfassungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte des Bundestags in der Europapolitik und bei der „Euro-Rettung“ weiter gestärkt. Die Bundesregierung hätte die Abgeordneten schon einbeziehen müssen, als sie im vergangenen Jahr mit den anderen Euroländern den permanenten Rettungsschirm ESM („Europäischer Stabilitätsmechanismus“) sowie mit 24 anderen EU-Ländern den „Euro-Plus-Pakt“ (damals noch „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ genannt) aushandelte. Die Abgeordneten
dürften nicht erst dann eingebunden werden, wenn sie die Handlungen der Regierung nur noch abnicken könnten, sagte
Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle.
Die Regierung muss somit die Volksvertreter künftig auch schon während laufender Verhandlungen in Brüssel informieren und nicht erst dann, wenn es dort zu Entscheidungen kommt. Die Entscheidung im Zweiten Senat fiel einstimmig.
Die Pflicht, das Parlament zu beteiligen, gilt dem Urteil zufolge nicht nur für die Verabschiedung von Maßnahmen der EU selbst (etwa von Richtlinien und Verordnungen), sondern auch für zwischenstaatliche („intergouvernementalen“) Initiativen. Für solche Abkommen gilt das Völkerrecht.
Trittin: Mussten uns Unterlagen von österreichischen Kollegen besorgen
Geklagt hatte die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen. Die Regierung hatte den Parlamentariern damals erst in letzter Minute die Unterlagen zur Verfügung gestellt, so dass sich diese bei Volksvertretern anderer Länder schlau machen mussten.
In der Verhandlung am 30. November hatte der Rechtsexperte der Grünen, Jerzy Montag, gesagt, die Informationssituation sei nach der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 für die Abgeordneten „demütigend“ gewesen. Auf der Tagung wurden sowohl der Euro-Stabilitätsmechanismus als auch der Euro-Plus-Pakt zur besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Euro-Raum vereinbart.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin hatte es am Morgen in der ARD als „absurd“ bezeichnet, „dass wir Gesetzesentwürfe für Verträge, die Deutschland binden und wo es um Milliarden geht, uns von den österreichischen Kollegen der Grünen besorgen müssen, die das selbstverständlich von ihrer Regierung erhalten, während die Bundesregierung das Parlament künstlich dumm stellt“.
Die Bundesregierung war der Klage der Grünen in der Verhandlung entgegengetreten. Es sei unpraktikabel, jeden Verfahrensschritt mit dem Bundestag abzustimmen. Außerdem müsse unbedingt vermieden werden, dass vertrauliche Verhandlungszwischenstände über hochsensible Materien letztlich in die Öffentlichkeit gelangten.
Entscheidung stützt sich auf Artikel 23 des Grundgesetzes
Voßkuhle wies diese Argumentation der Regierung aber zurück. Ein solches Argument gelte für viele konstituierende Elemente in Deutschland im Alltag - aber nur auf den ersten Blick. „Auf längere Sicht bilden diese Elemente zusammen mit anderen das Fundament eines leistungsfähigen, stabilen und ausgewogenen Gemeinwesens“, betonte Voßkuhle. Nur dann finde es auch den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung. „Mit anderen Worten: Demokratie hat ihren Preis. Bei ihr zu sparen, könnte aber sehr teuer werden“, sagte Voßkuhle.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützt sich auf Artikel 23 des Grundgesetzes. Dessen zweiter Absatz lautet: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“
Bundestag und Bundesrat wollen ESM noch im Juni verabschieden
Inhaltlich ist mit dem heutigen Urteil noch keine Entscheidung verbunden. Bundestag und Bundesrat wollen trotz massiver Proteste etlicher Verbände, Wissenschaftler, Familienunternehmer und weiterer Persönlichkeiten noch in diesem Monat den ESM-Vertrag verabschieden. Diese wollen dann erneut Klagen in Karlsruhe einreichen.
Um den Euro-Raum angesichts der Schuldenkrise zu stabilisieren, hatten sich die 17 Mitgliedsländer auf den permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geeinigt. Er soll den im Mai 2010 gespannten ersten „Rettungsschirm“ EFSF im Juli ablösen und langfristig zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes beitragen. Am 14. März 2012 hatte das Bundeskabinett die beiden Gesetzesentwürfe zur Ratifizierung des ESM-Vertrages und zur finanziellen Beteiligung am ESM beschlossen. Vor dem Start muss der ESM noch vom Bundestag gebilligt werden. Der ESM mit Sitz in Luxemburg und einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro soll Mitgliedsstaaten der Eurozone unterstützen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Die Hilfe ist an strikte Auflagen geknüpft.