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Energiekrise : EU-Staaten beschließen Gas-Notfallplan

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Die EU hätte gerne mehr von dem, was hier durch die Rohre läuft: Blick auf eine Öl- und Gasförderanlage im russischen Nowy Urengoi Bild: dpa

Moskau drosselt weiter die Gaszufuhr, die EU-Staaten reagieren mit einem Notfallplan zur nationalen Reduktion des Gaskonsums. Der Plan könnte aber de facto zu einem zahnlosen Tiger werden.

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          Die EU-Staaten haben das Beschlussverfahren für einen Notfallplan zur Drosselung des Gaskonsums auf den Weg gebracht. Bei einem Sondertreffen der für Energie zuständigen Minister kam am Dienstag in Brüssel die notwendige Mehrheit für den Schritt zusammen, wie die tschechische EU-Ratspräsidentschaft bestätigte. Der Plan soll die Risiken reduzieren, die sich aus einer vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen ergeben können.

          Nach dem Text für die Rechtsverordnung, über den die Nachrichtenagentur dpa berichtete, sieht der Plan wie von der EU-Kommission vorgeschlagen vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben.

          Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind dafür allerdings deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen und auch die Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen wurden erhöht. Letztere sollen nur vom Rat der Mitgliedstaaten und nicht von der EU-Kommission durchgesetzt werden können. Konkret bedeutet dies, dass ein Kommissionsvorschlag für verbindliche Einsparziele die Zustimmung einer Gruppe von 15 der 27 EU-Länder braucht. Zudem müssten diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.

          Ausnahmen für Zypern, Malta und Irland

          Ausnahmeregelungen sollen zum Beispiel vorsehen, dass Länder wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Bei anderen Staaten sollen zum Beispiel Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.

          Die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft rechtfertigte am Dienstag am Rande des Energieministertreffens die vielen Ausnahmeregelungen. „Unterschiedliche Staaten sind in unterschiedlichen Positionen“, erklärte der zuständige Minister Jozef Sikela. So fehlten beispielsweise in einigen Ländern Verbindungsleitungen und einige Länder müssten noch viel dafür tun, die Gasspeicher für den Winter ausreichend zu füllen. Vor der Abstimmung hatten etwa Ungarn und zuletzt noch drei andere Mitgliedstaaten größere Vorbehalte geäußert.

          Deutschland unterstützt die Notfallplanungen als eines derjenigen Länder, die derzeit noch stark von russischen Gaslieferungen abhängig sind. Für die Bundesregierung wird Wirtschaftsminister Robert Habeck zu dem Sondertreffen erwartet. Der Grünen-Politiker warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montagabend wegen der angekündigten weiteren Drosselung der Gaslieferungen ein „perfides Spiel“ vor. Putin versuche, die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in die deutsche Gesellschaft zu treiben. Dafür schüre er Unsicherheit und treibe die Preise. Technische Gründe für die Lieferkürzungen gebe es nicht.

          „Europa muss für den schlimmsten Fall vorbereitet sein“

          Der russische Gaskonzern Gazprom hatte kurz zuvor angekündigt, die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 von derzeit 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität zu senken. Es sollen dann nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen. Als Grund wurde von russischer Seite die Reparatur einer weiteren Turbine angegeben. Aus Berlin hieß es daraufhin, es seien keine technischen Gründe für die Reduzierung der Lieferungen bekannt – der Grund sei also vorgeschoben.

          Vor diesem Hintergrund hatte Wirtschaftsminister Habeck am Montagabend noch einmal den Ernst der Lage betont. „Wir sind in einer ernsten Situation. Es wird auch Zeit, dass das alle verstehen“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“. Deutschland müsse den Gasverbrauch senken. „Daran arbeiten wir.“ Die Maßnahmen müssten konsequent weiter umgesetzt werden. Das Land müsse zusammenstehen und sagen: „Ja, Putin hat das Gas, aber wir haben die Kraft.“ Den Gazprom-Verweis auf die Turbine bezeichnete er als „Farce-Geschichten“, die einfach nicht stimmten.

          Von der Leyen hatte zuletzt darauf hingewiesen, dass Russland in zwölf Mitgliedstaaten schon jetzt nur noch teilweise oder gar nicht mehr Gas liefert. „Deswegen muss Europa für den schlimmsten Fall vorbereitet sein: einen vollständigen Stopp der Gaslieferungen, früher oder später“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

          Kritikern ihrer Notfall-Pläne hielt von der Leyen entgegen, dass die Auswirkungen eines russischen Lieferstopps auf alle EU-Staaten enorm wären – egal, wie viel Gas sie nun tatsächlich aus Russland beziehen. „Auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen“, erklärte sie.

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