Strenger als deutsche Regelung : EU plant eigenes Lieferkettengesetz
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Das Lieferkettengesetz soll dafür sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden, zum Beispiel bei der Textilproduktion in Bangladesch. Bild: dpa
Der F.A.Z. liegen exklusive Informationen vor, nach denen ein EU-weites Lieferkettengesetz kommen soll, das deutlich strenger sein wird als das deutsche. Die Auswirkungen wären enorm.
Als die Bundesregierung sich vergangenes Jahr auf ihr Lieferkettengesetz einigte, kommentierte EU-Justizkommissar Didier Reynders das im Gespräch mit der F.A.Z. durchaus wohlwollend. Zugleich machte er aber klar, dass sich die EU-Kommission mit dem von ihr angekündigten Lieferkettengesetz nicht mit so wenig zufriedengeben würde.
Der Gesetzesvorschlag selbst aber hat auf sich warten lassen. Immer wieder wurde er aufgeschoben, auch weil Reynders einigen in Brüssel zu viel Ehrgeiz dabei an den Tag legte, europäische Unternehmen für die Kontrolle von Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsverstößen in Drittstaaten verantwortlich zu machen. Nun aber ist es so weit: Mitte der Woche wird Reynders einen Vorschlag vorlegen, gegen den das deutsche Gesetz tatsächlich geradezu bescheiden daherkommt.
Reynders will alle Unternehmen außer den kleinsten verpflichten, ihre gesamte Lieferkette daraufhin zu kontrollieren, ob die Zulieferer gegen Umwelt-, Klima- und Menschenrechte verstoßen. Mehr noch: Sie sollen unter bestimmten Umständen auch für Verstöße der an ihrer Lieferkette beteiligten Unternehmen haften. Das geht aus einem aktuellen Entwurf des Gesetzes hervor, der der F.A.Z. vorliegt. In dem Entwurf wird dabei auch das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens als Referenz genannt. Darüber hinaus will Reynders die Bonuszahlungen für Manager direkt mit der Überwachung der Lieferketten verknüpfen. Der Text könne sich bis zur endgültigen Präsentation noch ändern, hieß es am Montag aus der Kommission. Der Kern dürfte aber nicht mehr angetastet werden.
Auf die Tagesordnung hat die Überwachung der Lieferketten die wachsende Unruhe der Europäer über die Bedingungen bei der Produktion von Kleidung und anderen Waren gesetzt. Dazu haben die Debatten über die Zwangsarbeit der Uiguren in chinesischen Arbeitslagern, die Zustände in Textilwerken in Pakistan und Bangladesch oder die vom Ölkonzern Shell in Nigeria verursachte Verschmutzung der Umwelt beigetragen. Neben Deutschland haben auch Frankreich und Großbritannien mit Lieferkettengesetzen reagiert, andere Länder planen noch eigene Gesetze.
Konkret will Reynders alle Unternehmen in die Pflicht nehmen, die mehr als 500 Beschäftigte und einen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr haben. Zum Vergleich: Die Schwelle des deutschen Gesetzes liegt bei 3000 Mitarbeitern und sinkt erst 2024 auf 1000 Mitarbeiter. Zudem sollen die Auflagen auch für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro gelten, wenn sie mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in einem „Risikosektor“ erzielen. Dazu zählt die Textilbranche, aber auch die Lebensmittelbranche und die Förderung von Rohstoffen. Insgesamt sind nach Schätzungen der EU-Kommission 13.000 Unternehmen in der EU und 4000 Nicht-EU-Unternehmen betroffen. Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern sind indes – anders als von Reynders ursprünglich geplant – nicht betroffen.
Mehr Transparenz, aber auch mehr Bürokratie
Der Vorschlag der Kommission unterscheidet sich nicht nur im Zuschnitt der betroffenen Unternehmen vom deutschen Gesetz, sondern auch in den meisten anderen Punkten. So bezieht sich das deutsche Gesetz nur auf die direkten Zulieferer. Eine Haftung für Verstöße der Zulieferer ist ebenso wenig vorgesehen wie die Verknüpfung der Aufsicht über die Lieferketten mit den Bonuszahlungen der Manager. Auch Klimaschäden sind nicht direkt erfasst.
Kritik und Lob an dem Vorstoß kommt aus dem EU-Parlament, das dem Gesetz ebenso wie die Mitgliedstaaten zustimmen muss, damit es in Kraft treten kann. „Der Vorschlag übertrifft die schlimmsten Befürchtungen“, sagte der CDU-Abgeordnete Markus Pieper. Das bedeute noch mehr Berichtspflichten für den Mittelstand. „Das in Verbindung mit der Tatsache, dass Unternehmen mittels einer zivilrechtlichen Haftung für potentielle Schäden aufkommen sollen, ist einfach unverhältnismäßig und wird globale Lieferketten zum Nachteil armer Regionen kappen.“
Anna Cavazzini von den Grünen betont hingegen: „Mit diesem Gesetz haben wir den Hebel in der Hand, Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten einzuhegen.“ Das sei auch eine Chance für Unternehmen, denn das Gesetz wird gleiche Wettbewerbsbedingungen und klare Regeln überall in Europa schaffen – außerdem achteten inzwischen immer mehr Verbraucher darauf, ob beispielsweise die Kakaobohnen mit Kinderarbeit gepflückt wurden.