ESM und Fiskalpakt : Das Verfassungsgericht hat das letzte Wort
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Verfassungsbeschwerden höchstwahrscheinlich: Die Richter werden sich noch mit dem Rettungsschirm befassen müssen. Bild: Reuters
An diesem Freitagabend wird im Bundestag über den europäischen Rettungsschirm abgestimmt. Eine Mehrheit gilt als sicher. Doch selbst wenn: Das letzte Wort hätten ohnehin die Richter.
An diesem Freitagabend wird im Bundestag über den europäischen Rettungsschirm abgestimmt. Eine Mehrheit gilt als sicher. Doch selbst wenn die Abstimmung wie geplant vonstatten geht und die Zweidrittelmehrheit erreicht wird, gibt es eine weitere Hürde: Das letzte Wort hat das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter müssen über mehrere Klagen entscheiden.
Die Linksfraktion im Bundestag will eine Organklage gegen den ESM und den Fiskalpakt einreichen. Daneben wird es gleichlautende
Verfassungsbeschwerden aller 76 Abgeordneten geben. Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) will
gemeinsam mit dem Verein „Mehr Demokratie“ gegen die Ratifizierung vorgehen. Die FDP-Euroskeptiker Frank Schäffler und Burkhard Hirsch haben sich ebenfalls hinter die angekündigte Verfassungsbeschwerde Däubler-Gmelins gestellt. Die Begründung sei überzeugend, erklärte die beiden Liberalen in einer gemeinsamen Erklärung am Freitag. Der ESM sei „in der vorliegenden Form verfassungswidrig“ und werde die Euro-Krise nicht lösen.
Des weiteren will eine Gruppe von Klägern um den emeritierten
Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider gegen den ESM vorgehen. Auch der CSU-Politiker Peter Gauweiler hat nach Angaben des Gerichts bereits einen Klageentwurf vorab eingereicht. Außerdem lag am Donnerstag bereits die Verfassungsbeschwerde eines einzelnen Bürgers vor.
Worum es in den Klagen genau geht, ist teilweise ganz unterschiedlich. In den Klagen der Linken wird im Wesentlichen bemängelt, dass das Haushaltsrecht des Bundestags beeinträchtigt wird. Die Budgethoheit werde teilweise auf die europäische Ebene verlagert. Der Bundestag habe auch keinerlei Möglichkeit, aus dem Fiskalpakt wieder auszusteigen. Es werde damit ein neues, unabänderliches Recht geschaffen, argumentiert die Linke. Die Einzelheiten will Fraktionschef Gregor Gysi am Samstag zusammen mit den beiden Prozessbevollmächtigten vorstellen. Zu beiden Klagen wird es Anträge auf einstweilige Anordnung geben, mit der die Ratifizierung der Verträge bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gestoppt werden soll.
Die anderen Kläger kritisieren unter anderem, dass mit dem ESM eine „quasi bundesstaatliche Haftungsgemeinschaft“ der Euro-Länder entstehe. Deshalb seien die Grenzen der Europäischen Integration, die das Verfassungsgericht in der Entscheidung zum EU-Vertrag von Lissabon gesteckt hatte, überschritten.
Gauck soll nicht unterzeichnen
Das Verfassungsgericht hat den Bundespräsidenten Joachim Gauck bereits gebeten, die Ratifizierungs-Gesetze zunächst nicht zu unterzeichnen. Mit einer Entscheidung über die einstweiligen Anordnungen rechnet man bei Gericht „innerhalb weniger Wochen“. Anschließend stünde eine Entscheidung in der Hauptsache an. Das eigentlich für den 1. Juli geplante Inkrafttreten des ESM verschiebt sich also auf jeden Fall.
Sollten die Klagen im Eilverfahren erfolgreich sein, trifft das Gericht zunächst nur eine einstweilige Anordnung. Das heißt, es könnte die Ratifizierung der Verträge aufschieben. Bei einer Hauptsacheentscheidung sind dagegen verschiedene Möglichkeiten denkbar: Sollten die Richter davon ausgehen, dass ESM und Fiskalpakt - oder ein Teil der Maßnahmen - die Grenzen dessen überschreiten, was unter dem Grundgesetz überhaupt möglich ist, könnten sie die jeweiligen Zustimmungsgesetze für nichtig erklären. Es wäre dann Sache der Politik, gegebenenfalls das Volk über ein neues, geändertes Grundgesetz abstimmen zu lassen. Denkbar ist auch, dass die Richter zusätzliche Sicherungen fordern - etwa eine weitergehende Beteiligung des Parlaments bei Einzelentscheidungen.
Wahrscheinlicher scheint Experten aber eine „Bis-hierher-und-nicht weiter-Entscheidung“: Dies würde bedeuten, dass Deutschland nach dem ESM keine zusätzlichen Risiken mehr übernehmen dürfte.