Erneuerbare Energien : Deutscher Ökostromanteil wird systematisch überschätzt
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Solarzellen in Barsinghausen (Niedersachsen) auf einem Ziegeldach Bild: dpa
40 Prozent des Stroms aus der Steckdose sollen die Erneuerbaren liefern – doch was sagt diese Zahl überhaupt aus?
Erneuerbare Energien legen in der deutschen Stromversorgung einen rasanten Aufschwung hin. Hatte der Energieverband BDEW kurz vor Weihnachten noch von einem „Kopf-an-Kopf-Rennen“ in der Stromerzeugung von Ökostrom und Kohle mit Anteilen von jeweils 35 Prozent berichtet, so haben Wind- und Sonnenstrom laut Forschern von ISE-Fraunhofer die Kohle längst abgehängt. Der Anteil der Erneuerbaren an „dem Strommix, der tatsächlich aus der Steckdose kommt, lag bei über 40 Prozent“, meldete das Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Die Kohle kam demnach auf 38 Prozent. Die von zahlreichen Medien zitierten Berechnungen werfen allerdings Fragen auf.
Für die Beurteilung der Versorgungssicherheit sind alle diese auf das Jahr bezogenen – zum Vorjahr steigenden – Durchschnittszahlen schlecht zu gebrauchen. In der Elektrizitätsversorgung kommt es darauf an, dass die Kunden nicht im Durchschnitt, sondern in jeder Minute des Jahres auf eine unterbrechungsfreie Belieferung zählen können – und das ist die Schwäche der Erneuerbaren. So gut es für das Klima ist, wenn an manchen Tagen der Stromverbrauch fast komplett aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden kann, so schlecht wäre es für die Verbraucher, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint – und es keine anderen Stromquellen gäbe.
Unerklärt bleibt in der Fraunhofer-Berechnung der Unterschied von 5 Prozentpunkten zu der BDEW-Berechnung von vor Weihnachten. Grund sind offensichtlich unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe von brutto, netto, Erzeugung und Verbrauch. Was gleich klingt, ist doch nicht gleich. Dazu muss man das „Kleingedruckte“ lesen. Während der BDEW die gesamte Stromerzeugung betrachtet, beachtet ISE nur die Netto-Erzeugung, also das, was nach Abzug des Eigenverbrauchs der Kraftwerke ins Netz eingespeist wird. Zudem betrachtet die Rechnung lediglich den Strom im öffentlichen Netz.
Es wird mehr Strom exportiert als importiert
Damit fällt die gesamte Eigenstromerzeugung der Industrie aus der Berechnung heraus, wie das ISE auf Nachfrage bestätigt. Das sind immerhin 10 Prozent des insgesamt erzeugten Stroms. Das Ergebnis dieser „Jahresauswertung zur Stromerzeugung in Deutschland“ wird dadurch verzerrt. Der ins Netz gespeiste Ökostrom wird nur auf einen Teil des deutschen Stromverbrauchs bezogen. Im Ergebnis wird, wie das Institut bestätigt, der Anteil Erneuerbarer damit überschätzt.
Als Vergleichsmaßstab für das Ziel der Regierung, die den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent hochschrauben möchte, dient die Fraunhofer-Rechenmethode auch nicht. Denn die Regierung legt für ihr Ziel keine Netto-, sondern eine Brutto-Berechnung zugrunde. Sie will, dass von 2030 an zwei Drittel der gesamten in Deutschland verbrauchten Elektrizität aus kohlendioxidfreien Erneuerbaren stammen. Nach Berechnungen, die der BDEW und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg Mitte Dezember anstellten, betrug der Anteil Erneuerbarer am Brutto-Stromverbrauch im vergangenen Jahr 38 Prozent. Die Zahl wird auch in Regierungskreisen für realistisch gehalten. Gemessen an der weiter gefassten Brutto-Stromerzeugung, fällt der Ökostromanteil mit 35 Prozent noch kleiner aus.
Allerdings wirft auch die Berechnung der für den Zielevergleich bedeutsamen Kennziffer Brutto-Stromverbrauch Fragen auf. Deutschland exportiert in der Regel mehr Strom, als es importiert. Der überschüssige Strom fällt aus der Berechnung des inländischen Stromverbrauchs heraus. Allerdings wird der Exportüberschuss allein den konventionellen Kraftwerken zugerechnet, die gesamte „grüne“ Stromerzeugung verbleibt dagegen laut EU-Regeln im Inland. Es wird also so getan, als werde kein grüner Strom ausgeführt – was de facto nicht so ist. Auch die Rechenmethode lässt den heimischen Ökostromanteil größer erscheinen, als er, gemessen an der Erzeugung, ist.