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Nach dem Urteil : Denksportaufgabe Erbschaftsteuer

  • -Aktualisiert am

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verliest das Urteil über die Erbschaftsteuer. Bild: dpa

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beginnt nun die Zeit der Steuertechnokraten, um das Gesetz verfassungskonform zu machen. Dabei könnte die Koalition die Erbschaftssteuer auch von Grund auf reformieren. Wünschenswert wäre das. Ein Kommentar.

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          Zumindest das ist gerecht: Die Fehler der Erbschaftsteuerreform fallen ihren Urhebern auf die Füße. Union und SPD müssen nun das Erbschaftsteuergesetz reparieren, das sie in der letzten großen Merkel-Koalition 2008 beschlossen hatten. Und zwar gegen viele Warnungen, auch das neue Recht werde wegen großzügiger Ausnahmen für Firmenerben einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten.

          So ist es nun. Nach Ansicht der Karlsruher Richter darf der Gesetzgeber zwar Firmenerben steuerlich ganz verschonen, wenn das dem Erhalt oder der Sicherung von Arbeitsplätzen dient. Doch vermissen die Richter eine Pflicht der Unternehmen, dies nachzuweisen, etwa anhand der über Jahre fortgezahlten Lohnsumme. So werden Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten von der Erbschaftsteuer derzeit befreit, ohne den Erhalt der Arbeitsplätze belegen zu müssen; das sind mehr als 90 Prozent aller Firmen. „Betriebe können daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen“, monieren die Richter. Die Ausnahme werde zur Regel. Darüber hinaus lasse das Gesetz zu viele weitere Möglichkeiten, die Steuer zu drücken, zum Beispiel durch Aufspaltung von Unternehmen. Damit sind auch größere Unternehmen steuerbefreit. Der Fiskus verzichte auf große Summen, ohne zu prüfen, ob dies zur Sicherung von Arbeitsplätzen erforderlich sei.

          Nur die SPD-Linke begehrt auf

          Weil die Richter die Verschonung der Firmenerben grundsätzlich billigen, macht sich trotz der Kritik an vielen Punkten Erleichterung breit. Die Familienunternehmen loben, das Verfassungsgericht habe ihre Schutzbedürftigkeit anerkannt. Union und SPD bekräftigten, was sie schon vor dem Urteil zur Beruhigung der Wirtschaft gesagt hatten: mehr als nötig werde nicht geändert; das Aufkommen der Erbschaftsteuer – aktuell 5 Milliarden Euro – werde nicht erhöht; keinesfalls wolle man Unternehmen zusätzlich belasten. Bloß die SPD-Linke löckt gegen den Stachel. Sie will die gerichtlich erzwungenen Korrekturen nutzen, um die Erbschaftsteuersätze bei dieser Gelegenheit wenigstens für die übrigen Erben privater Vermögen zu erhöhen. Dafür hat sie wenig Rückhalt. Zwar hätten die Länder, denen das Aufkommen der Erbschaftsteuer allein zusteht, Interesse an zusätzlichen Einnahmen, doch traut sich keiner der schwarz-roten Ministerpräsidenten an dieses heiße Eisen.

          So wird die Erbschaftsteuer nun zur Denksportaufgabe für Steuertechnokraten. Mit verschärften neuen und vermutlich höchst bürokratischen Nachweispflichten und Kontrollen wird die Koalition die bemängelten Punkte irgendwie verfassungskonform machen. Mehr nicht. Das ist schade, hat doch Richter Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung darauf hingewiesen, es stehe den Regierungsparteien frei, „die Erbschaftsteuer völlig neu zu strukturieren“.

          Ausnahmeregelungen bergen Risiken

          Anlass zu einem größeren Wurf gibt es durchaus. Steuerfachleute sind sich einig, dass die deutsche Erbschaftsteuer mit der Reform 2008 auf das falsche Prinzip gesetzt hat: hohe Sätze, viele Ausnahmen. Die Steuersätze reichen von 7 bis 50 Prozent; sie richten sich nicht nur nach der Höhe der Erbschaft, sondern auch nach dem Verwandtschaftsgrad, wobei auch unterschiedliche Freibeträge zu berücksichtigen sind. Die Entlastung der Firmenerben geht so zu Lasten aller übrigen Erben.

          Diese werden teils heftig zur Kasse gebeten, obwohl das Erbe aus schon einmal versteuertem Einkommen entstanden ist – und obwohl auch sie letztlich über den Konsum oder die Anlage des Erbes dazu beitragen, dass die Wirtschaft floriert und Arbeitsplätze schafft. Man muss daher nicht einmal mit dem Gerechtigkeitsargument kommen, um eine gleichmäßigere Besteuerung zu fordern. Auch bergen Ausnahmeregeln, zumal strikte, Risiken: Unternehmen könnten eine notwendige, mit Personalabbau verbundene Umstrukturierung ihres Geschäfts so lange aufschieben, bis die Erbschaftsteuer entfällt. Wirtschaftlich ist das unsinnig, es könnten am Ende mehr Arbeitsplätze verlorengehen als bei maßvollem Zugriff der Erbschaftsteuer.

          Steigbügelhalter der Vermögenssteuer

          Nach Schätzungen verschiedener Ökonomen reicht es aus, wenn Erben – bei einer breiten Bemessungsgrundlage – einen Steuersatz von 8 bis 10 Prozent zahlen, um das Aufkommen zu halten. Brächte der Todesfall ein Unternehmen trotzdem in finanzielle Bedrängnis, sind unkomplizierte Stundungen denkbar. Eine breiter angelegte Steuer mit niedrigem Tarif bringt viele Wähler dazu, bei jeder Änderung des Steuersatzes genau hinzusehen, schließlich könnten sie selbst betroffen sein und nicht nur wenige vermeintlich „Reiche“. Vor den Karren linker Steuertrommler sind die Bürger dann nicht so schnell zu spannen.

          Spräche nicht manches dafür, die Erbschaftsteuer jetzt einfach abzuschaffen? Ja und nein. Das geringe Aufkommen, 2 Prozent der Steuereinnahmen, ließe sich leicht verschmerzen; vermutlich würde der Standort attraktiver, so dass schon über Neuansiedlungen und Zuzug mehr Geld in die Staatskasse käme. Aber für den sozialen Frieden braucht es wohl eine Steuer, die am Vermögen anknüpft. Wer die Erbschaftsteuer abschafft, bereitet einer noch schädlicheren allgemeinen Vermögensteuer den Weg.

          Heike Göbel
          Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.

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