Energiewende in Deutschland : Jetzt übernimmt die Kanzlerin den Kohle-Streit
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Warten auf Merkel: Das Kohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln Bild: dpa
Seit Wochen kämpft Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erfolglos mit der Kohlelobby: Zugeständnisse einerseits, Klimaziele andererseits. Nun schaltet sich Kanzlerin Angela Merkel ein. Kann sie diesen schwierigen Konflikt lösen?
In den Streit um die Zukunft der deutschen Braunkohle schaltet sich jetzt auch die Bundeskanzlerin ein. Für diesen Mittwochabend sei eine Gesprächsrunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und dessen Energie-Staatssekretär Rainer Baake terminiert, in der es um die umstrittene neue und zusätzliche Klimaabgabe für alte Braunkohlekraftwerke gehen soll. Von dem Treffen, zu dem sich Regierungsvertreter offiziell nicht äußern wollten, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus mehreren Quellen erfahren.
Der Vorstoß für die Klimaabgabe aus dem Wirtschaftsministerium sorgt seit Wochen für Proteste von Kraftwerksbetreibern, Gewerkschaften, den Kohleländern Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Brandenburg sowie aus der Union. Gabriel hatte mehrfach gesagt, der Plan sei mit Merkel besprochen. Am Montag kam aus seinem Ministerium allerdings ein überarbeiteter Vorschlag.
Statt der zusätzlich bis zum Jahre 2020 vorgesehenen Einsparungen von 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) sollen es jetzt nur noch 16 Millionen Tonnen sein, heißt es in einem der F.A.Z. bekanntgewordenen Papier zur „Anpassung des Klimabeitrags“ aus dem Wirtschaftsministerium. Um das deutsche CO2-Einsparziel von 40 Prozent gegenüber 1990 bis 2020 dennoch zu erreichen, soll die als ökologisch vorteilhaft geltende Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) stärker als geplant gefördert werden. Das Ministerium selbst wollte sich offiziell dazu nicht äußern. Gabriels Sprecher stellte allerdings klar, dass das Gesamtziel der CO2-Einsparungen das alte bleibe.
Deutschland will 40 Prozent Emissionen bis 2020 reduzieren
Gabriels Kritikern reicht es allerdings nicht, wenn das neue Instrument zur Reduzierung von CO2-Emissionen der Kohlekraftwerke nur abgeschwächt wird. Sie wollen den „Klimabeitrag“ erst gar nicht einführen. Denn sie haben die Sorge, dass eine neue Regierung die Kriterien schnell wieder zu Lasten der Kohle verschlechtern könnte. Das bekräftigten mehrere Vertreter der Kritiker im Gespräch mit dieser Zeitung. Um diese Grundsatzfrage dürfte es nun auch bei dem Spitzentreffen am Mittwoch gehen.
Grund für die seit Wochen dauernden Proteste ist die Klimapolitik der Bundesregierung. Deutschland hat international zugesagt, bis zum Jahre 2020 die Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren. Das gelingt aber nur, wenn die Einsparungen in den nächsten Jahren verschärft werden. Dazu hatte das Kabinett im Dezember einen Plan verabschiedet. Der sieht vor, dass zwischen 62 und 78 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich eingespart werden. Davon sollten 22 Millionen Tonnen aus dem Kraftwerkssektor kommen.
Baakes Vorschlag sah nun vor, die Stromerzeugung alter Kraftwerke, vor allem von Braunkohlekraftwerken, durch eine neue Abgabe zu verteuern. Sein Kalkül: Damit wären diese weniger wirtschaftlich, weshalb moderne Steinkohle- oder Gaskraftwerke, die weniger Kohlendioxid emittieren, öfter zum Zuge kämen.
Der Streit drehte sich von Anfang an darum, was „weniger wirtschaftlich“ bedeuten würde. Während man im Ministerium beteuerte, damit werde kein Kraftwerk in seinem Fortbestand bedroht, befürchteten Konzerne, Länder, Union und Gewerkschaften Dominoeffekte im engen Zusammenspiel zwischen Braunkohletagebauen und Kraftwerken – mit der Folge baldiger Abschaltungen, hoher vorfristiger Kosten für Rekultivierungen und dem Verlust Tausender Arbeitsplätze.
Drahtseilakt als „klimapolitischer Vorreiter“
Der neue Vorschlag geht nun darauf ein. Konkret soll der Freibetrag für alte Kraftwerke erhöht werden. Sie müssten erst ab einer Emission von 3,8 Millionen Tonnen CO2 statt bisher 3 Millionen Tonnen die Klimaabgabe zahlen. Deren Preis soll nicht mehr per Verordnung vorgegeben werden, sondern sich auf den Börsenpreis des Stroms und den der CO2-Emissionszertifikate beziehen.
Niedrige Strompreise würden zu einer niedrigen Abgabe führen. Damit werde die Wirtschaftlichkeit der Altanlagen verbessert, die Unternehmen erhielten „ein Höchstmaß an Planungssicherheit“. Die geht ein wenig zu Lasten der Steinkohle. Auch an andern Stellen will das Ministerium der Branche entgegenkommen: Für besonders gravierende Fälle sei eine Sonderregelung vorgesehen, die Übertragbarkeit von Freibeträgen innerhalb eines Kraftwerksparks sei möglich, auch an eine Härtefallregelung werde gedacht.
Der Streit um die Kohle, auf deren Verstromung Klimaschützer lieber heute als morgen ganz verzichten würden, stellt Merkel wie Gabriel vor ein Problem: Einerseits wollen sie die CO2-Ziele erreichen, andererseits sollen Strompreis, Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Hinzu kommt, gerade in diesen Tagen und Wochen, der Wunsch, Deutschlands Rolle als „klimapolitischer Vorreiter“ herauszustellen.
So redet Merkel an diesem Dienstag wie auch der französische Präsident François Hollande in Berlin auf einer von der Regierung ausgerichteten Klimakonferenz. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel Anfang Juni in Elmau, wo die Kanzlerin der G7 vorsitzt, soll der Kampf gegen den Anstieg der Erdtemperatur auch ein zentrales Thema sein. Immerhin soll im Dezember in Paris ein verbindlicher Klimavertrag geschlossen werden. Merkel, und darauf setzt die SPD, werde deshalb alles tun, um den Eindruck zu vermeiden, ihre Regierung würde die selbstgesteckten Klimaziele nicht erreichen.