Energiepolitik : Fracksausen vor dem Fracking
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Ein Bohrfeld im niedersächsischen Bötersen bei Rotenburg-Wümme. Auf der Suche nach Erdgas setzt das Unternehmen ExxonMobil hier die umstrittene Frackingmethode ein. Bild: dpa
Deutschland sitzt auf einem großen Gasschatz in tief liegendem Gestein. Um es ans Tageslicht zu befördern, muss das Gestein „gefrackt“ werden. Viele Bürger machen sich Sorgen. Doch es wäre töricht, aus purer Angst vor jedem Risiko, diesen Schatz nicht zu heben. Eine Analyse.
Die an Anglizismen nicht arme deutsche Sprache hat sich einen neuen Begriff aus der Neuen Welt einverleibt: das Fracking. Das Wort ist nicht elegant, es klingt vielmehr vulgär und aggressiv. Es zwingt den Sprecher, die Mundwinkel auseinanderzuziehen und sein Gebiss zu zeigen. Wie ein Raubtier auf dem Sprung. Fracking ist auch keine schöne Sache. Es ist zerstörerisch. Denn beim „Fracturing“ geht es im geologischen Wortsinn um das Aufbrechen von Gestein. Das darin gebundene Öl oder Gas soll ans Tageslicht befördert werden.
Gefrackt wird zwar meist ein paar tausend Meter tief im Untergrund, für das menschliche Auge verborgen. Doch das hindert die Leute nicht, sich über die Folgen Sorgen zu machen. Denn um das tiefliegende Gestein zu erreichen, müssen Trinkwasserschichten durchstoßen werden. Große Mengen von Wasser, Chemikalien und Sand werden verpresst, damit das gebrochene Gestein sich nicht wieder zusammenfügt und dem Gas den Weg verbaut. Nicht zuletzt sind viele Bohrungen nötig, um den Rohstoff aus dem Boden zu brechen.
In Trinkwasserschutzgebieten soll das Bohrverfahren verboten werden
Nun bergen Bürger, die sich in ihren Ängsten nicht ernst genommen fühlen, gerade vor einer Wahl Gefahren für Politiker. Das erklärt, weshalb Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kurz vor Gesetzgebungsschluss noch einen Vorschlag gemacht haben, der dem Fracking seine Scheußlichkeit nehmen soll. Dabei ist der Gehalt ihrer umweltschützerischen Ankündigungen dünner, als es das Papier nahelegt, auf dem sie gedruckt sind. In Trinkwasserschutzgebieten, 15 Prozent der Fläche, soll das Bohrverfahren verboten werden. In jedem anderen Fall, das ist neu, werden umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen verlangt. Dazu gehört, Anwohner besser einzubeziehen.
Das ist wenig mehr, als die Gesetzeslage heute schon vorschreibt: Vorrang für den Wasserschutz, weitgehende Nutzungsverbote sowie Genehmigungsvorbehalte in Trinkwasserschutzzonen und Heilwasserquellgebieten. Was bislang im Landesrecht kodifiziert war, soll nun bundesrechtlich abgesichert werden.
Kritiker verweisen auf haarsträubende Fälle in Amerika
Wie sich zeigt, ist es um den Schutz von Grund und Boden hierzulande offenbar nicht so schlecht bestellt, wie es mancher Kritiker mit Verweis auf haarsträubende Fälle aus Amerika glauben machen will. Nicht zuletzt die bisher 300 unproblematisch niedergebrachten Fracking-Bohrungen der vergangenen Jahrzehnte belegen ein effektives System der Kontrolle und Unfallvermeidung.
So haben Altmaier und Rösler einen typischen politischen Kompromiss erarbeitet: Ihre Verordnung legt vordergründig den Streit in der Koalition und zwischen Umwelt- sowie Wirtschaftspolitikern über das Bohren nach sowie Fördern von „unkonventionellem Gas“ bei und setzt die Opposition im Bundesrat unter Handlungsdruck und Entscheidungszwang. Verweigern Rote und Grüne die Zustimmung, dann sind sie eben schuld, dass das Wasserrecht bleibt, wie es ist.
Vor allem in Norddeutschland werden große Gasreserven vermutet
Sie müssen nun die Vor- und Nachteile einer Blockadehaltung im Bundesrat abwägen. Hier kommen neben Umwelt- und parteitaktischen Gesichtspunkten auch ökonomische Argumente ins Spiel. Zumindest ist auffällig, wie viel ökonomischen Realismus die das rot-grüne Gespann in Düsseldorf führende SPD in Energie- und Umweltfragen offenbart, ganz im Gegensatz zu manchen Äußerungen auf Bundesebene, die eher von der Lust an der Opposition getragen scheinen.
Denn die wirtschaftlichen Effekte einer Gewinnung von unkonventionellem Öl und vor allem Gas könnten auch in Deutschland beachtlich sein. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt die vor allem in Norddeutschland vermuteten Gasreserven auf sieben bis 22 Billionen Kubikmeter. Selbst wenn davon nur ein Zehntel gefördert würde, könnte das reichen, die deutsche Gasnachfrage auf Jahre zu decken.
Das zeigt, welches Potential dieser heimische Rohstoff hat: Er kann angesichts schnell sich erschöpfender konventioneller Quellen die Versorgungssicherheit stärken, die Abhängigkeit von Lieferungen etwa aus Russland reduzieren, eine weitgehend umweltschonende Förderung sicherstellen, heimische Wertschöpfung generieren und mit Hilfe des kohlendioxidarmen Energieträgers Gas noch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Auch könnten sich die Förderländer auf anhaltend hohe Einnahmen durch Konzessionsabgaben einstellen.
Man muss bei der Gewinnung von Schiefergas keinen „amerikanischen Traum“ träumen, von purzelnden Gas- und Strompreisen und einem dadurch ausgelösten neuen Schub für alte Industrien. Die Lage ist nicht vergleichbar. Deutschland ist viel dichter besiedelt, der Umweltschutz wird hier zu Recht höher als anderswo gehalten. Aber es wäre töricht, aus purer Angst vor jedem Risiko darauf zu verzichten, diesen immensen volkswirtschaftlichen Schatz zu heben. Wären unsere Vorfahren ähnlich skrupulös gewesen, so weideten bis heute nur Kühe und Schafe an Emscher und Ruhr, wo seit nunmehr 150 Jahren Kohle und Stahl die Menschen stolz und das Land wohlhabend gemacht haben.