Bis zu 14 neue AKW : Die „Atomrenaissance“ des Emmanuel Macron
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Große Pläne: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag in Belfort Bild: AP
Frankreichs Präsident hat erstmals seine Pläne zur „Atomrenaissance“ konkretisiert. Das Land soll in den nächsten Jahrzehnten mindestens sechs neue Atomkraftwerke bauen – vielleicht auch noch acht mehr.
Das Warten hat ein Ende. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Donnerstag erstmals öffentlich erklärt, was er sich unter der von ihm vor Monaten angekündigten „Neubelebung“ der Kernenergie genau vorstellt. Dafür besuchte er eine Fabrik für Kraftwerksturbinen des amerikanischen Unternehmens General Electric in Belfort in Ostfrankreich.
Macron teilte mit, zwei Entscheidungen getroffen zu haben: Zum einen den Auftrag zum Bau von sechs neuen Atomreaktoren zu erteilen sowie ausarbeiten zu lassen, inwieweit acht weitere Reaktoren errichtet werden können. Zu Kosten machte er keine Angaben; Medienberichten zufolge werden rund 50 Milliarden Euro allein für die sechs neuen Reaktoren veranschlagt. Zum anderen will Macron die Laufzeit der bestehenden 56 Reaktoren in Frankreich verlängern. Keiner soll mehr vom Netz gehen, außer die Sicherheit erfordert dies. Er werde prüfen lassen, ob eine Laufzeitverlängerung auf jeweils mehr als 50 Jahre möglich ist, sagte Macron.
50 Offshore-Windparks bis ins Jahr 2050
Über die Details seiner „Atomrenaissance“ war schon im Vorfeld spekuliert worden. Pläne für die Erweiterung bestehender Kraftwerksparks wie Penly in der Normandie existieren schon länger. Aber erst jetzt sollen sie Realität werden. Die neuen Reaktoren sollen vom Jahr 2035 an ans Netz gehen. Macron versprach, dass in puncto Sicherheit „signifikante Fortschritte“ erzielt worden seien. Bei den neuen Reaktoren soll es sich nicht um den gleichen Bautypen wie in Flamanville handeln, wo seit 15 Jahren an einem neuen Reaktor gebaut wird, sondern um eine modernere Version des sogenannten Europäischen Druckwasserreaktors.
Acht Wochen vor der französischen Präsidentschaftswahl kündigte Macron an, das energie- und industriepolitische Schicksal des Landes wieder in die eigene Hände legen zu wollen. Er sprach davon, die eigene „Souveränität“ stärken zu wollen, und betonte, dass mit dem Ausbau der Kernenergie die Abhängigkeit vom Ausland reduziert werde. Das sei auch eine Antwort auf die „historische Krise“ am Energiemarkt in diesem Winter.
Doch verdeutlichte Macron auch, dass er die Zukunft der französischen Energieversorgung in einem Mix aus Erneuerbaren und der Kernenergie sieht. Deshalb will er die Solarkraft und die Windenergie im Kraft kräftig ausbauen, Letzteres vor allem vor der französischen Küste. 50 solcher Offshore-Windparks soll es bis zum Jahr 2050 geben, sagte Macron. Ein Hauptaugenmerk soll dabei auf der Beschleunigung von Planung und Bau liegen. Wie in Deutschland, dauert es auch in Frankreich viele Jahre, bis neue Anlagen ans Netz gehen.
Der französische Präsident begründete seinen Atomkurs mit der jüngst veröffentlichten Analyse des französischen Stromnetzbetreibers RTE. Demnach kommt ein Mix aus 50 Prozent Erneuerbaren und 50 Prozent Kernenergie Frankreich langfristig um rund ein Drittel günstiger als eine Stromversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren; derzeit beträgt der Anteil der Kernenergie rund 70 Prozent und der von Wind-, Solar- und Wasserkraft 20 Prozent, der Rest entfällt vor allem auf Erdgas. „Wir müssen massiv die Erneuerbaren ausbauen“, sagte Macron mit Blick auf die Klimaziele. Doch brauche man so viel CO2-freien Strom, dass auch die Kernenergie gebraucht werde.
Die Stadt Belfort in der Burgundischen Pforte hat Macron mit Bedacht als Ort gewählt, um seine Atomrenaissance zu verkünden. In der dortigen Fabrik für Kraftwerksturbinen steckt ein Stück französische Industriegeschichte: Bis vor sieben Jahren fertigte hier der Zughersteller Alstom die sogenannte „Arabelle“-Turbinen. Dann erwarb das amerikanische Unternehmen General Electric den Produktionsstandort – mit der Zustimmung von Macron, damals Wirtschaftsminister unter Präsident Francois Hollande, und unter scharfer Kritik von links bis rechts. Sie hallt bis heute nach. Aber unter Hollande galt die Kernenergie nun mal als Auslaufmodell.
Das hat sich unter dem im Jahr 2017 in den Élysée-Palast eingezogenen Macron geändert. Mehr und mehr zeigte er sich als Präsident atomkraftfreundlich. Im vergangenen Herbst folgte das offene Bekenntnis, neue Kraftwerke zu bauen. Daneben soll im Rahmen des Investitionsplan France 2030 eine Milliarde Euro an öffentlichen Mitteln in die Förderung sogenannter Mini-Atomkraftwerke fließen. Turbinen sind nun also wieder gefragt. Sie sind das Herzstück neuer Kraftwerke, zumal die Macron-Regierung seit geraumer Zeit eine Kampagne zur „Reindustrialisierung“ Frankreichs fährt. Nichts passte also besser zur Renaissance der Atomkraft als die Rückkehr der „Arabelle“ in französische Hände. Dafür eingespannt wurde der Energiekonzern EDF , zu rund 84 Prozent in Staatshand, und Betreiber der Atomreaktoren im Land. Am Donnerstag wurde der Verkaufsvertrag unterzeichnet. Dem Vernehmen nach legen die Franzosen rund 175 Millionen Euro auf den Tisch. Tags zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Energiepolitik Frankreichs mit ihrem Fokus auf Atomstrom als rückständig kritisiert. „Das, was Frankreich im Moment macht, ist eine sehr planwirtschaftliche gedeckelte Energieversorgung einer altmodischen Industrie“, sagte der Grünen-Politiker.