Wachstum nach dem Mauerfall : Das zweite Wirtschaftswunder in Ostdeutschland
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Modern ausgerüstet: Strumpffabrik im Erzgebirge Bild: dpa
In Ostdeutschland mögen sich viele wie Verlierer vorkommen. Tatsächlich ist die Wirtschaft dort weit vorangekommen, sagen die Ökonomen der staatlichen Förderbank KfW. Fast bis auf das Niveau von Italien oder Spanien.
Deutschland hat nicht nur ein westdeutsches Wirtschaftswunder erlebt, sondern auch ein ostdeutsches. Das Wachstum in den neuen Bundesländern seit dem Mauerfall lässt sich mit der Entwicklung der alten Bundesrepublik in den sechziger und siebziger Jahren vergleichen, „letztendlich ist in West und Ost in einer Spanne von 25 Jahren das Gleiche erreicht worden“, sagt Jörg Zeuner, der Chefvolkswirt der staatlichen Förderbank KfW.
Seine Ökonomen machen das insbesondere an der Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf fest. Als Ausgangsjahre für den Vergleich wurden 1959 (für den Westen) und 1991 (für den Osten) gewählt, weil die Startlinie dann ungefähr dieselbe ist: jeweils rund 12.000 Euro (in Preisen von 2013). In den jeweils folgenden 25 Jahren stieg dieser Wert dann in West und Ost auf knapp 24.000 Euro an. „Das gigantische Umbauvorhaben der bankrotten Planwirtschaft der DDR in eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte“, lobt Zeuner. Auch dank der gewaltigen Summe von 1600 Milliarden Euro, die als Investitionen von Unternehmen, Kommunen und privaten Bauherren seit dem Mauerfall nach Ostdeutschland geflossen seien.
Zwar sehen auch die KfW-Forscher die immer noch bestehenden Unterschiede etwa im verfügbaren Einkommen pro Kopf (hier hat sich der Osten auf 84 Prozent des Westniveaus emporgearbeitet) oder in der Arbeitsproduktivität. Aber auch dabei gebe es Erfolge zu feiern – wenn man den Blickwinkel etwas verschiebt, erläutert der Ökonom. Denn zum einen ist die Wirtschaftsstärke in Ostdeutschland (gemessen am BIP pro Kopf) inzwischen so hoch, dass die Region in der europäischen Rangliste auf Platz 14 landet – nur noch knapp hinter Italien und Spanien. Und zum anderen entsprächen die innerdeutschen Unterschiede im internationalen Vergleich „praktisch dem Normalzustand“, sagt Zeuner.
Gerade die Arbeitsproduktivität klaffe innerhalb der anderen G-7-Staaten zum Teil viel weiter auseinander. West- und Ostdeutschland haben sich also schon viel mehr angenähert als etwa Nord- und Süditalien. „Und auch innerhalb Westdeutschlands sind nicht alle Regionen auf dem gleichen Niveau“, resümiert der Ökonom.
Gleichwohl sehen die KfW-Forscher auch, dass gerade der Unterschied in der Arbeitsproduktivität (Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigem) noch erheblich ist: Der Osten hat erst 76 Prozent des Westniveaus erreicht. Allerdings lag der Wert im Jahr 1991 nur bei 35 Prozent.
Zu wenig Industrie im Osten
Grund für den noch immer bestehenden Abstand sei vor allem die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur, erläutert Zeuner: weniger Industriebetriebe, geringere Forschungsaufwendungen, weniger große Unternehmen und innerhalb des verarbeitenden Gewerbes weniger Fahrzeug- und Maschinenbau. Allerdings könne es für die weitere Entwicklung von Vorteil sein, dass in Ostdeutschland andere Branchen wie die Optik oder die Biotechnologie eine gute Entwicklung nehmen, fügt er hinzu.
Die größte Herausforderung sieht Zeuner daher in der demographischen Entwicklung der neuen Bundesländer. Knapp 1,8 Millionen Menschen seien im Saldo bis 2012 in den Westen gezogen, viele davon gut ausgebildete junge Fachkräfte. Die Arbeitslosenquote im Osten habe sich mit gut 10 Prozent zwar dem westdeutschen Niveau deutlich angenähert, in den neuen Ländern ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen über 50 Jahre aber besonders hoch. Diese Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurück zu bringen, dürfte sehr schwer werden, prognostizieren die KfW-Forscher.
Regionalförderung neu justieren
Dennoch plädiert Zeuner dafür, auch die Förderpolitik neu zu justieren. Die starre Ausrichtung „von West nach Ost“ sollte mehr einer bedarfsorientierten Förderung weichen. Das würde bedeuten, dass etwa der ländliche Raum in Ost- und Westdeutschland weiter gefördert wird, während inzwischen gut wachsende städtische Regionen wie Leipzig/Halle oder Berlin weniger bekommen. „Auch ohne explizite Ostpräferenz würden die neuen Länder noch immer überproportional von der Regionalförderung profitieren“, resümiert der KfW-Chefvolkswirt.