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Entlassungswelle von Big Tech : „They fire, we hire“ – deutsche Firmen hoffen auf IT-Fachkräfte aus Amerika

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Virtuelles Feuerwehrtraining in Würzburg: Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) im Einsatz Bild: dpa

Microsoft & Co entlassen Tausende Mitarbeiter. Vom VW-Vorstand bis zur bayerischen Digitalministerin werben deutsche Arbeitgeber nun um die Informatiker.

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          Die Entlassungswelle der amerikanischen Technologie-Unternehmen lässt die deutsche Wirtschaft aufhorchen. „They fire, we hire - sie feuern, wir stellen ein“, sagt der Personalvorstand von Cariad, der Software-Tochtergesellschaft des Automobilherstellers Volkswagen, Rainer Zugehör. „Das ist eine Chance für uns.“

          Ungefähr 40 Millionen Autos sollen bis zum Jahr 2030 mit Cariad-Software fahren. „Wir haben einige Hundert offene Stellen zu vergeben: in den USA, in Europa und in China“, lockt der Personaler potentielle neue Mitarbeiter aus dem Silicon Valley und anderen großen Zentren amerikanischer Tech-Riesen wie Seattle oder Texas. „Erfahrene Tech-Fachleute, die hochbegabt sind und wertvolle Fähigkeiten haben – genau die Leute, die wir bei suchen.“

          Die hohe Inflation und die drohende Rezession machen der erfolgsverwöhnten amerikanischen Technologiebranche schwer zu schaffen. Nach Jahren nahezu ungebremsten Wachstums bereiten sich die Unternehmen auf weniger wachstumsstarke Jahre vor und haben Entlassungen auf den Weg gebracht. Die Google-Muttergesellschaft Alphabet streicht auf der ganzen Welt ungefähr 12.000 Stellen, Microsoft will 10.000 Stellen abbauen, die Facebook-Muttergesellschaft Meta 11.000. Insgesamt Hunderttausende Jobs stehen Branchenexperten zufolge zur Disposition.

          Auch Entwickler und Ingenieure betroffen

          Oft trifft es Entwickler, Ingenieure und andere Fachkräfte, die in Deutschland gerade händeringend gesucht werden. Dem Branchenverband Bitkom zufolge sind hierzulande in den Unternehmen quer durch alle Branchen 137.000 IT-Stellen nicht besetzt. Der Freistaat Bayern wittert wegen der Entlassungswelle auf der anderen Seite des Atlantik eine Chance. „Ich möchte eine herzliche Einladung aussprechen, zu uns nach Bayern zu kommen!“, richtet sich die Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, auf dem Karriereportal LinkedIn auf Englisch an Interessenten.

          Der Freistaat biete beste Voraussetzungen für IT-Spezialisten mit einem hochinnovativen Forschungsumfeld und vielen interessanten Wirtschaftspartnern – vom Startup, über Mittelständler bis zum Dax-Konzern. Dazu biete Bayern noch ein traumhaftes Umfeld mit hohem Freizeitwert. „Did I mention Octoberfest?", schreibt Gerlach, die zudem unter Hinweis auf Kündigungsschutz und Überstundenausgleich auch für IT-Spezialisten für den Öffentlichen Dienst wirbt.

          Bei so manchem Manager kommen solche Lockangebote gut an. „Ich unterstütze Ihre Initiative sehr!“, schreibt etwa der Chef des IT-Dienstleisters der Lufthansa, Olivier Krüger, unter den LinkedIn-Eintrag von Gerlach.

          Ob dieses Werben erfolgreich ist, daran zweifelt Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. „Die USA sind das Gelobte Land der IT“, sagt er. „IT-Fachkräfte aus den USA nach Deutschland zu ziehen, ist ein schwieriges und nur in absoluten Einzelfällen erfolgversprechendes Unterfangen.“

          In den USA haben demnach viele Unternehmen einen hohen Bedarf an IT-Knowhow, so dass die Betroffenen innerhalb des eigenen Landes meist sehr gute berufliche Perspektiven haben. „Außerdem konkurriert Deutschland bei der Suche nach IT-Fachkräften mit zahlreichen anderen Ländern, die geografisch oder sprachlich die näherliegende Alternative für von Jobverlust Betroffene aus den USA sind“, sagt Rohleder. Und nicht zuletzt fallen in Deutschland im Vergleich hohe Steuern an. Ein Wechsel aus den USA über den großen Teich dürfte daher für viele auch finanziell wenig verlockend sein.

          Warnung vor zu viel Bürokratie

          Auch Manager haben ihre Zweifel, ob Deutschland attraktiv genug ist für IT-Experten aus Kalifornien. Ohne größere Hilfe seitens der Politik könnte das Anwerben vergeblich sein, warnt etwa Diana Stoleru vom Berliner Startup Lendis. „Die Bürokratie in Deutschland ist für die meisten hochqualifizierten Arbeitskräfte absolut lähmend, wenn sie zum ersten Mal damit in Berührung kommen, vor allem, wenn sie kein Deutsch sprechen“, gibt Stoleru zu bedenken. Wenn es sich um eine echte Initiative handeln solle, dann reiche eine Einladung auf LinkedIn sicherlich nicht aus. „Aber ein echtes Fast-Track-Programm mit viel Unterstützung für hochqualifizierte Migranten könnte es sein.“

          Die Zweifler könnten am Ende nicht recht behalten, glauben Befürworter der Anwerbeaktionen. Die Stimmung habe sich gedreht. Deutschland gelte wegen seiner Arbeitsplatzsicherheit inzwischen auch im Ausland als attraktiv für Arbeitnehmer, sagt ein Kenner der IT-Szene. „Manche beneiden uns um unsere Tarifverträge.“

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