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Screening ohne Einwilligung : Ethiker kritisieren Facebook-Programm zur Suizidprävention

  • Aktualisiert am

Facebooks Algorithmus scannt Beiträge und Kommentare auf verdächtige Hinweise und meldet Personen mit erhöhtem Suizidrisiko an einen Mitarbeiter. Bild: dpa

Seit 2017 benutzt Facebook einen Algorithmus, um Suizide zu verhindern. Deutsche Ethikexperten fordern nun schnelle gesetzliche Regelungen zum Umgang mit den sensiblen Gesundheitsdaten.

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          Deutsche Ethikexperten kritisieren ein Programm von Facebook, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz suizidgefährdete Nutzer erkennen will. Sie forderten schnelle gesetzliche Regelungen zum Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten. In jedem Fall müsse die Einwilligung der Betroffenen eingeholt werden.

          „Wenn Facebook ohne Einwilligung seiner Kunden ein nicht wissenschaftlich gestütztes Screening zur Aufdeckung eines erhöhten Risikos für eine Selbsttötung einsetzt und dafür die Privatsphäre der Kunden verletzt, ist das ethisch nicht vertretbar“, erklärte die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (EGE), Christiane Woopen, in Köln. Das Soziale Netzwerk müsse sich an die wissenschaftlichen Standards für Screeningverfahren halten. Dazu gehöre der Nachweis, dass „das Screening mehr nutzt als schadet“, so die Medizinethikerin an der Universität Köln.

          Seit 2017 benutzt Facebook einen Algorithmus, um Suizide zu verhindern. Er scannt Beiträge und Kommentare auf verdächtige Hinweise und meldet Personen mit erhöhtem Suizidrisiko an einen Mitarbeiter. Dieser kann der betreffenden Person Hilfsangebote zukommen lassen oder sich an Behörden und Polizei wenden.

          Eine Facebook-Sprecherin erklärte am Dienstag, die entsprechenden Tools kämen „bislang“ in der EU nicht zur Anwendung. „Wir arbeiten seit mehr als 10 Jahren an dem Thema Suizidprävention und werden uns auch weiterhin mit Experten dazu austauschen, was für Menschen in derartigen Notsituationen hilfreich ist“, fügte sie hinzu. Jeder Nutzer könne Inhalte melden, wenn jemand mit Suizid oder Selbstverletzung verbundene Inhalte poste.

          Die wissenschaftliche Leiterin der Stiftung Datenschutz in Leipzig, Anne Riechert, betonte, Daten zu religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, Sexualleben und Gesundheit müssten besonders geschützt werden. Dies gelte gerade für Daten, die Ausdruck einer Notlage sein und deren Offenlegung den Betroffenen beschämen könnten. „Im Falle einer Einwilligung muss diese informiert und ausdrücklich erfolgen, was in der Praxis schwierig umzusetzen sein dürfte.“

          „Unbedingte Einwilligung der Betroffenen“

          Skeptisch äußerte sich auch der Paderborner Philosoph und Informatiker Tobias Matzner. Er forderte eine „unbedingte Einwilligung der Betroffenen, unabhängige Evaluation und öffentlich nachvollziehbare Kriterien. Nichts davon ist hier gegeben“, sagte er. Laut Medienberichten evaluiert Facebook nicht, ob die Alarme zutreffend waren.

          Matzner betonte, Facebook arbeite mit Algorithmen und suche eine Art allgemeines Muster für Suizidgefahr. Damit könnten versehentlich auch Einträge ermittelt werden, die nichts mit Suizid zu tun haben. Dass hier ein hehrer Zweck verfolgt werde, sollte nicht davon ablenken, dass „dies eine willkürliche Entscheidung der Firma ist, von der wir weder im Positiven noch im Negativen abhängig sein sollten“, sagte er.

          Die Wissenschaftler äußerten sich zu einem Artikel im amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Annals of Internal Medicine“. Darin betonen zwei amerikanische Wissenschaftler, dass Facebook einen Beitrag zur öffentlichen Gesundheit liefere und sich deshalb den Auflagen für klinische Forschung unterwerfen müsse. Generell begrüßten sie jedoch innovative Ansätze wie diesen, um Suizide zu verhindern.


          Hilfe bei Suizidgedanken

          Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

          Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

          Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
          Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.

          Ebenfalls von der Telefonseelsorge kommt das Angebot eines Hilfe-Chats. Die Anmeldung erfolgt auf der Website der Telefonseelsorge. Den Chatraum kann man auch ohne vereinbarten Termin betreten. Sollte kein Berater frei sein, klappt es in jedem Fall mit einem gebuchten Termin.

          Das dritte Angebot der Telefonseelsorge ist die Möglichkeit der E-Mail-Beratung. Auf der Seite der Telefonseelsorge melden Sie sich an und können Ihre Nachrichten schreiben und Antworten der Berater lesen. So taucht der E-Mail-Verkehr nicht in Ihren normalen Postfächern auf.

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