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Digitale Kompetenzen : Für ein starkes Europa im Cyberspace

  • -Aktualisiert am

Sabine Bendiek ist Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Bild: Alex Schelbert

Digitale Souveränität wächst nicht durch Abschottung. Sondern durch Offenheit und Partnerschaft. Ein Gastbeitrag.

          4 Min.

          Im vergangenen Herbst hat die Datenethikkommission der Bundesregierung ihren ersten Bericht veröffentlicht. Die Regierung hat Eckpunkte für eine neue Datenstrategie definiert. Und sie hat Pläne für eine europäische Daten-Infrastruktur vorgestellt, das Cloud-Netzwerk Gaia-X. Damit bekommt das Thema Daten nun im politischen Raum die Aufmerksamkeit, die es verdient.

          Tatsächlich ist die Frage, wie sich vorhandene Datenschätze heben und sinnvoll nutzen lassen, eine der großen innovationspolitischen Herausforderungen des Zeitalters der Künstlichen Intelligenz (KI). Derzeit ist Deutschland zwar Weltklasse in der KI-Grundlagenforschung. Doch in der Entwicklung von marktfähigen Produkten und Geschäftsmodellen drohen wir den Anschluss zu verpassen.

          Mitte November war der langjährige Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), Wolfgang Wahlster, Gast des KI-Expertenrats. Eindringlich warnte der renommierte Fachmann, Deutschland bleibe „nur noch ein kleines Zeitfenster von zwei bis drei Jahren“, um sich in der KI einen Platz in der globalen Spitzengruppe zu sichern.

          Wir haben keine Zeit zu verlieren

          Um die Potentiale von KI für die Industrie, die öffentliche Verwaltung oder das Gesundheitswesen auszuschöpfen, brauchen wir einerseits eine ganz neue Bereitschaft, Daten unternehmens- und branchenübergreifend zu teilen. Andererseits benötigen wir agile, technologisch voll ausgereifte Cloud-Infrastrukturen mit skalierbaren Rechen- und Speicherkapazitäten, die höchste Datenschutzstandards einhalten und die (Daten-)Souveränität von Organisationen und Individuen gewährleisten.

          Das Konzeptpapier zu Gaia-X enthält hierzu viele richtige Ansätze und lädt auch Marktteilnehmer außerhalb Europas ein, daran mitzuwirken. Deshalb haben wir beim Bundeswirtschaftsministerium offiziell unser Interesse an einer Teilnahme hinterlegt. Denn wir sind davon überzeugt, dass Partnerschaften der Schlüssel zu digitaler Innovation sind, dass sie Wettbewerbsfähigkeit und Handlungsfähigkeit stärken – und damit die Souveränität von Unternehmen und Staaten sichern.

          Wie Wolfgang Wahlster zu Recht betont: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unternehmen und Verwaltungen müssen nicht auf die schlüsselfertige Übergabe von Gaia-X warten, um ihre digitale Strategie weiter voranzutreiben. Marktfähige Cloud-Technologien sind ausgereift und verfügbar. Und sie lassen sich den spezifischen Souveränitäts-Bedürfnissen von Staaten, Behörden oder Unternehmen individuell anpassen. Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass leistungsstarke Cloud-Infrastrukturen zwar eine wichtige Basis sind, aber nicht die einzige Voraussetzung für Innovation darstellen.

          Hoheit über eigene Daten

          Damit aus Daten Neues entstehen kann, benötigen wir außerdem kreative Fähigkeiten und ein breites Spektrum an technologischen Kompetenzen. Nur wenn wir die menschliche und die Künstliche Intelligenz gleichermaßen fördern, werden wir als Wirtschaftsstandort langfristig erfolgreich sein. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir digitale Technologien unabhängig beherrschen, eigenständig entwickeln und selbstbestimmt einsetzen können.

          Deutschland und Europa brauchen dringend eine breit angelegte digitale Qualifizierungsoffensive – letztlich sind digitale Kompetenzen auch eine wesentliche Voraussetzung für digitale Souveränität. Nur wer eine Technologie wirklich versteht, kann selbstbestimmt mit ihr umgehen. Das gilt für Individuen ebenso wie für Staaten oder Unternehmen.

          Ein weiterer wichtiger Punkt des Themas Souveränität ist natürlich die Hoheit über die eigenen Daten. Diese beinhaltet aus unserer Sicht immer auch die Hoheit über die Wertschöpfung, die sich mit diesen Daten erzielen lässt. Dazu gehört die Verpflichtung, dass Patente aus gemeinsam entwickelten Innovationen grundsätzlich unseren Kunden gehören. Wenn beispielsweise führende deutsche Automobilkonzerne gemeinsam mit Microsoft eigene Cloud-Strukturen entwickeln, so gehören die Geschäftsmodelle, Lösungen und Dienste, die daraus entstehen, selbstverständlich ihnen. Anders wäre eine Bereitschaft für das Teilen von Daten nicht vorstellbar.

          Durch zunehmende Handelskonflikte gewinnt die Versorgungssicherheit bei digitalen Lösungen einen ganz neuen Stellenwert. Die Sorge, dass „irgendwer den Stecker ziehen“ und ganze Staaten oder Unternehmen durch die Abschaltung einer Cloud lahmlegen könnte, kann ich nachvollziehen. Doch sie ist überzogen. Technisch ist es möglich, für Kunden mit besonderen Sicherheitsanforderungen Cloud-Lösungen ohne einen solchen Aus-Knopf zur Verfügung zu stellen. Bei diesen Cloud-Infrastrukturen bestimmen nicht die Hersteller, sondern nur die Kunden selbst über den Zugriff auf die Plattform.

          In dem Konzeptpapier zu Gaia-X heißt es: „Wir streben eine Dateninfrastruktur an, die den freiheitlichen Werten und der Selbstbestimmung aller europäischen Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen gerecht wird und so ihre Datensouveränität gewährleistet. (...) Es geht uns um faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen und die Bejahung des freien Wettbewerbs aller Akteure am Markt unter der Prämisse der Nichtdiskriminierung und auf der Grundlage von offenen Systemen in einer gemeinsamen Partnerschaft mit internationalen Anbietern.“ Das ist ein wichtiger Punkt. Denn bei allen berechtigten Forderungen nach mehr Souveränität dürfen wir auch die Bedeutung von Offenheit nicht vergessen.

          Deutschland ist eine führende Exportnation. Zahlreiche Unternehmen, auch Mittelständler, sind „in Deutschland daheim und in der Welt zu Hause“. Deutschland ist mit einem „Offenheitsgrad“ von gut 87 Prozent die „offenste“ Volkswirtschaft der G-7-Staaten. Auch ist wohl kaum eine andere Volkswirtschaft so stark in internationale Wertschöpfungsketten integriert.

          Europa braucht wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle

          Offenheit ist deshalb gerade für Deutschland wichtig. Sie ist das Geheimnis unseres Erfolgs. Und die Grundlage unseres Wohlstands. Beim Thema Souveränität stehen wir somit vor einem interessanten Paradoxon: Sie wächst nicht etwa durch Abschottung, sondern durch Offenheit und Partnerschaft.

          Als Deutsche und überzeugte Europäerin wünsche ich mir, dass Europa eine starke Rolle im digitalen Raum findet und wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle (er)findet. Als Geschäftsführerin eines internationalen Technologieanbieters will ich unsere Kunden, darunter viele auf der ganzen Welt agierende Unternehmen, mit global verfügbaren Lösungen unterstützen. Als überzeugte Transatlantikerin wünsche ich mir, dass wir unsere gemeinsamen westlichen Werte im digitalen Raum verankern. Vor allem aber habe ich die Hoffnung, dass wir gemeinsam die Ziele erreichen können, die wir teilen – ein starkes Europa im Cyberspace.

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