Mobilfunknetz : Viele Deutsche leben noch immer in Funklöchern
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Die Ortsbürgermeisterin von Gemünd in Rheinland-Pfalz, Stephanie Weiler, zeigt vergangenen Februar, dass sie kein Mobilfunknetz erreichen kann. Bild: Harald Tittel/dpa
Die löchrigen deutschen Netze waren sogar schon dem Wirtschaftsminister peinlich. Auf dem Land sind viele abgehängt. Ob der 5G-Ausbau bald Besserung bringt, ist nicht sicher.
Von seinem Zuhause in Brandenburg aus kann sich Jens Raeder über einen Kurzwellensender aus Sowjetzeiten mit Militärfunk-Fans aus aller Welt austauschen. Anders sieht es mit seinem Smartphone aus. Um sich mit dem Mobilfunknetz zu verbinden, muss Raeder von seinem Wohnort auf einem ehemaligen Stützpunkt der Nationalen Volksarmee (NVA) in ein fünf Kilometer entferntes Dorf mit einem Mobilfunkmast fahren.
Die Leute hätten sich daran gewöhnt, dass er auf seinem Handy nicht erreichbar sei, sagt der 57-Jährige bei einem Interview in seinem 100-Einwohner-Dorf Harnekop, 45 Kilometer außerhalb von Berlin. Raeder gehört zu Hunderttausenden Deutschen, die in einem Funkloch leben. Während Mobilfunkanbieter beteuern, fast das gesamte Bundesgebiet abzudecken, berichten Nutzer oft über schwache oder fehlende Signale in Gebäuden oder außerhalb größerer Städte.
Vor zwei Jahren hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) seinem Unmut über den schlechten Handyempfang im Land Luft gemacht. Er bezeichnete die Funklöcher als „eine der größten Blamagen des Technologie-Standorts Deutschland“. Er habe sein Büro gebeten, im Auto nicht mehr mit ausländischen Ministerkollegen verbunden zu werden, da es ihm total peinlich sei, diese drei oder vier Mal zurückrufen zu müssen, weil die Verbindung abreiße.
Corona vergrößert die digitale Kluft
Die Corona-Pandemie hat dem Problem neue Dringlichkeit verliehen. Millionen Menschen weltweit sind oder waren auf digitale Geräte angewiesen, um mit Angehörigen, Freunden, Schulen und ihrem Arbeitgeber in Kontakt zu bleiben. Die Kluft zwischen denjenigen, die über die nötige Technik verfügen, und denjenigen ohne hat sich weiter vergrößert.
Die Krise habe wie durch eine Lupe gezeigt, worin die infrastrukturellen Probleme lägen, sagte die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg. Auf dem Land sei nicht nur das Handynetz schlecht, sondern es fehle auch an Glasfaseranschlüssen. Homeoffice und Homeschooling seien kaum möglich, wenn Haushalte nur eine langsame Internet-Verbindung hätten und alle Familienmitglieder um die Kapazitäten kämpften, sagte Domscheit-Berg der Nachrichtenagentur AP.
Da die Breitbandtechnologie in Teilen des Landes ähnlich lückenhaft ist, setzen manche ihre Hoffnung in die neue Generation der Mobilfunktechnologie, 5G. Sie verspricht schnellere Verbindungen mit geringerer Verzögerung, so dass zahllose hochauflösende Video-Calls zugleich möglich sind und selbstfahrende Autos in Echtzeit untereinander kommunizieren können. Der 5G-Mobilfunkstandard biete enorme Möglichkeiten für innovative Geschäftsmodelle, sagt Ilja Nothnagel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Doch bisher sei nicht einmal die Abdeckung mit dem derzeitigen 4G-Netz ausreichend, vor allem nicht in ländlichen Regionen. Viele deutsche Unternehmen beklagten, dass die schwachen Verbindungen den Kundendienst erschwerten.
Deutschland weit abgeschlagen
Und selbst in Städten reicht Betrieben der Handyempfang oft nicht aus. In einer Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer zeigte sich nur ein Drittel der Unternehmen in der Hauptstadt sehr zufrieden mit den mobilen Breitbandnetzen. In einer Studie des Unternehmens Opensignal, das Nutzererfahrungen mit drahtlosen Netzwerken auswertet, landete Deutschland von 100 Ländern auf Platz 50 bei der Verfügbarkeit des 4G-Standards – hinter Indien, Indonesien und Kirgistan. Spitzenreiter waren Japan, Südkorea und die Vereinigten Staaten.
Die wachsende Nachfrage nach Bandbreite zeige, dass Geschwindigkeiten, die noch vor einigen Jahren akzeptabel waren, für datenhungrige Anwendungen wie Streaming, Videoanrufe oder Online-Spiele nicht mehr ausreichten, sagt Opensignal-Vizepräsident Ian Fogg. Selbst wenn jemand ein Signal empfange, bedeute dies nicht, dass es für die gewünschte Nutzung ausreiche.
Vodafone-Sprecher Volker Petendorf erklärte, dass der Mobilfunkanbieter sich bemühe, seine Lücken im Handynetz zu schließen, unter anderem mithilfe staatlicher Fördergelder. Grund für die langsame Einführung seien langwierige Genehmigungsverfahren und Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Standorten, sagte er. Vodafone habe jedoch im ersten Quartal dieses Jahres 2300 Stationen installiert oder modernisiert.
Für Jens Raeder, der ein kleines Museum zur Funktechnik der NVA betreibt, hat das Leben im Funkloch auch einen Vorteil: Aufgrund der fehlenden Infrastruktur sind die Immobilienpreise und Mieten niedrig. Auf die Frage, ob die Einführung von 5G das Dorfleben ankurbeln könnte, reagiert er skeptisch: Die Menschen wären schon sehr froh, wenn sie überhaupt 4G hätten, sagt er.
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