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Digitalisierung : Leiden Frauen oder Männer?

Mann, Frau und Roboter-Barkeeper: Chris Pratt, Michael Sheen und Jennifer Lawrence im Film „Passengers“. Bild: Allstar/Columbia Pictures

Schadet die Digitalisierung eher Männern oder eher Frauen? Beide Meldungen waren in den vergangenen Tagen zu lesen. Sie passen besser zusammen, als es scheint.

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          Das hat schon einiges an Gelächter ausgelöst, auch bei uns in der Redaktion: Am Samstag schrieb die F.A.Z. nach einem Interview mit dem Oxford-Ökonomen Carl Benedikt Frey: „Computer kosten vor allem Männer ihre Stellen“. Das klang anders als eine Meldung zwei Tage später: „Industrie 4.0 gefährdet Jobs von Frauen“, meldete am Montag die Deutsche Presse-Agentur. Spiegel Online griff die Meldung auf, und bald machten Bildschirmfotos die Runde, die beide Überschriften nebeneinander zeigen. Da kann doch nur eines von beidem stimmen! So denkt man. Vielleicht stimmt aber auch beides. Was ist da los?

          Was macht die Digitalisierung mit Arbeitsplätzen?

          Patrick Bernau
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Ob die Digitalisierung am Ende mehr Arbeitsplätze vernichtet oder mehr Arbeitsplätze schafft, ist Gegenstand endloser Debatten. Die meisten Fachleute glauben inzwischen, dass die Digitalisierung – so wie andere technische Revolutionen vor ihr – die Menschen nicht arbeitslos machen wird. Menschen suchen sich oft Beschäftigung, und häufig entstehen nach technischen Revolutionen anders gelagerte Arbeitsplätze. Diese Meinung ist nicht unumstritten. Weitgehend einig sind sich die Fachleute aber darüber, dass unterwegs einige Arbeitsplätze wegfallen werden: Berufe werden seltener gebraucht oder ändern sich fundamental. Wenn zum Beispiel das Auto selbst fährt, braucht man dann noch so viele Auto- und Lastwagenfahrer wie vorher? Eher nicht.

          Es gibt unterschiedliche Schätzungen darüber, welche Berufe von dem Wandel besonders betroffen sein werden. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind Prognosen, es ist noch nichts eingetreten.

          Warum leiden die Frauen?

          Eine Studie, die die künftigen Auswirkungen der Digitalisierung abschätzt, haben das Weltwirtschaftsforum und die Unternehmensberatung „Boston Consulting“ zusammen erarbeitet. Darin beziehen sie sich auf Schätzungen des amerikanischen Arbeitsministeriums, die vorhersagen, wie gefragt welcher Beruf in zehn Jahren sein wird. Dann schätzen sie ab, ob die Betroffenen in andere Berufe wechseln könnten. Mitarbeiter von Reisebüros könnten zum Beispiel an die Rezeption von Hotels wechseln, sie könnten Reiseführer werden – und sogar Immobilienmakler haben ein Tätigkeitsprofil, das gar nicht so anders ist. So schätzen die Studienautoren ab, was mit welchem Beruf in den kommenden Jahren passieren könnte.

          Das Ergebnis: Frauen arbeiten häufiger in den Berufen, die in den nächsten zehn Jahren von der Digitalisierung auf den Kopf gestellt werden könnten. Die Umwälzungen betreffen zu 57 Prozent Frauen. Zudem gibt es in typischen Frauenberufen weniger unterschiedliche Ausweichberufe als in den typischen Männerberufen. Allerdings: Wenn Frauen dann den Beruf wechseln, haben sie bessere Chancen auf eine Gehaltssteigerung als Männer.

          Warum leiden die Männer?

          Das Leiden der Männer liegt dagegen eher in der Vergangenheit, es ist schon geschehen. Oxford-Ökonom Carl Benedikt Frey, der im Interview mit der F.A.Z. auf die Schwierigkeiten der Männer hingewiesen hat, kann sich auf mindestens zwei wissenschaftlichen Studien berufen: eine eines berühmten amerikanischen Teams aus Boston und eine eines internationalen Teams. Beide haben untersucht, wie sich die Technik in den vergangenen Jahren auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat – und zwar ebenfalls mit amerikanischen Daten.

          Das Ergebnis war auch in diesem Fall deutlich: Im Rückblick haben vor allem Männer gelitten. Das Bostoner Team hat ausgerechnet, dass Frauen zwar ebenso hohe Gehaltseinbußen hinnehmen mussten wie Männer, aber die Männer doppelt so viele Stellen verloren haben wie die Frauen. Gerade Amerika kennt das Phänomen, dass viele Männer mit mittlerem Bildungsniveau arbeitslos geworden sind und viel Zeit mit Videospielen oder Fernsehen verbringen. Und sie haben überdurchschnittlich oft Donald Trump gewählt.

          Diese Arbeitsmarktentwicklung passt zu einem Trend, der in den vergangenen Jahren deutlich wurde: körperliche und technische Arbeit wurde zum Teil zwar noch hoch bezahlt, deutlich wurde aber auch schon, dass angesichts des technischen Fortschritts soziale Fähigkeiten wichtiger wurden – Fähigkeiten, die eher den Berufen zugeschrieben werden, die oft von Frauen ausgeübt werden.

          Fazit

          Die Männer haben eher unter der Digitalisierung in den vergangenen Jahren gelitten. Zumindest einige Fachleute fürchten, dass in den kommenden Jahren eher die Frauen dran sind. So passen die gegensätzlichen Überschriften zusammen.

          Unstrittig ist sowieso, dass die Digitalisierung den Arbeitsmarkt komplett umwälzen wird. Und dass beide Geschlechter bessere Chancen haben, wenn sie sich weiterbilden und auf der Höhe der Technik bleiben.

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