Gesichtserkennungs-Software : Jeder kann gefunden werden
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Eine Grafik zur Gesichtserkennung auf einem Monitor im bayerischen Landeskriminalamt Bild: dpa
Die Gesichtserkennung wird immer besser. Jetzt sorgt das Angebot eines polnischen Start-ups mit 900 Millionen gespeicherten Gesichtern für Wirbel. Politiker fordern strengere Regeln.
„Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Anonymität im öffentlichen Raum de facto nicht mehr möglich ist?“ Im Kern läuft die Debatte um die Gesichtserkennung auf diese Frage hinaus: Wer die Straße bei rot überquert, sich nach einer durchzechten Nacht nach Hause kämpft oder sich in zwielichtigen Vierteln herumtreibt und dabei zufällig ins Visier einer Handy- oder eine Überwachungskamera gerät, könnte identifiziert werden. In dem Fall stellt die Frage der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Jens Zimmermann.
Anlass ist eine Recherche des Online-Portals Netzpolitik.org, die internationale Berichte über die Gesichter-Suchmaschine Pimeyes aufgreift. Auf der Seite Pimeyes lassen sich Fotos hochladen, die das polnische Start-up mit seiner Datenbank abgleicht, die angeblich 900 Millionen Gesichter umfasst.
Das Start-up gibt an, nur öffentlich zugängliche Bilder zu verwenden und nicht auf Bilder aus den sozialen Medien zuzugreifen. Gegenüber der BBC erklärte das Unternehmen im Juni: „Wenn Sie dort Bilder finden, die nur auf Facebook hochgeladen wurden, heißt das, dass jemand anderes sie irgendwo anders gepostet hat. Wir durchsuchen nur Webseiten, die angeben, dass sie mit dem Durchsuchen einverstanden sind.“
Abmahnung für Pimeyes
Dennoch wollen Facebook und Google nun rechtlich gegen Pimeyes vorgehen, berichtet Netzpolitik.org. Es sei verboten, Youtube-Daten zu sammeln, mithilfe derer man eine Person identifizieren könne. „Dementsprechend werden wir eine schriftliche Abmahnung an Pimeyes senden, in der wir die Verletzungen der Nutzungsbedingungen genau auflisten“, erklärte ein Google-Sprecher demnach. Facebook kündigte an, eine Unterlassungserklärung schicken zu wollen. Man habe alle Konten mit Pimeyes-Bezug gesperrt.
Laut Datenschutzgrundverordnung ist die Verarbeitung biometrischer Daten, um Menschen eindeutig zu identifizieren, nicht erlaubt. Pimeyes verteidigt sich damit, dass man nur sein eigenes Gesicht hochladen solle, um sehen zu können, wo dieses im Netz auftauche. Netzpolitik.org berichtet jedoch, das Unternehmen habe diese Einschränkung erst kürzlich eingeführt und noch bis vor Kurzem mit der Suche nach Bildern von Prominenten geworben.
Zudem biete das Unternehmen die Möglichkeit, automatisch Updates zu Suchabfragen verschiedener Gesichter zu erhalten. Die Produkte seien also darauf ausgelegt, dass man nicht nur nach seinem eigenen Gesicht suche. Gleichzeitig hätten die Unternehmer hinter der Software eine weitere Seite betrieben, die dezidiert dazu aufgerufen habe, nach anderen Personen zu suchen: „Verwenden Sie die Gesichtserkennung, um mehr über Ihren Schwarm herauszufinden“, zitiert der Blog die Website, die inzwischen offline ist. Nach Angaben des Datenschutzbeauftragten Baden-Württembergs, Stefan Brink, müsste Pimeyes aber für jedes der gespeicherten Gesichter eine Einwilligung der jeweiligen Person besitzen, berichtet netzpolitik.org. Das wären in diesem Fall also 900 Millionen. Betroffene könnten gegen die Datenbank vorgehen: Es sei gut möglich, dass diese die Rechte am eigenen Bild verletze.
Möglich ist allerdings auch, dass Pimeyes von Strafverfolgungsbehörden in der EU und auch in Deutschland genutzt wurde. Das Programm ist dem Bericht zufolge in ein Angebot des schwedischen Unternehmens Safer Society Group integriert, das auch die europäische Polizeibehörde Europol verwende.
Polizei und Zoll haben in Deutschland der Bundesregierung zufolge Zugriff auf 5,8 Millionen Gesichtsbilder. Das System des Bundeskriminalamtes kann Gesichter mit denen von 3,6 Millionen Straftätern vergleichen. Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte die automatische Gesichtserkennung zudem im Januar in das Polizeigesetz aufnehmen, zog die Pläne aber nach einiger Kritik zurück.
Was Gesichtserkennung inzwischen alles leisten kann, ist auch durch die weite Verbreitung in China oder wegen der Berichte über das Start-up Clearview AI klar, das ein ganz ähnliches Angebot wie Pimeyes hat, nur angeblich auch Bilder von Facebook oder Youtube verwendet. Auch die Datenbank von Clearview AI wird oder wurde von vielen Strafverfolgungsbehörden verwendet, um Verdächtige zu identifizieren. Inzwischen sieht sich das Unternehmen einigen privatrechtlichen Klagen gegenüber, auch amerikanische Strafverfolgungsbehörden haben Clearview AI im Visier.
Das chinesische Überwachungssystem greift auf hunderte Millionen Kameras zurück. Millionen Gesichter werden erfasst, gesuchte Personen können per Mausklick gefunden werden. Selbst Emotionen sollen so analysiert werden können.
Muss der Gesetzgeber tätig werden?
Einige Digitalpolitiker nehmen die neuerlichen Berichte zum Anlass, neue regulatorische Maßnahmen zu fordern. So bezeichnet Tankred Schipanski, digitalpolitischer Sprecher der Union im Bundestag, das Pimeyes-Angebot gegenüber netzpolitik.org als „unhaltbar“. Und kündigt neue Gesetze an: „Wenn (eine Regulierung) auf Ebene der EU zeitnah nicht gelingen sollte, müssen wir hier als nationaler Gesetzgeber tätig werden.“
„Hochgefährlich“ findet Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, die Pimeyes-Datenbank. Sie warnt vor den Möglichkeiten, Frauen zu identifizieren, auch wenn diese sich anonym im öffentlichen Raum bewegen wollten. Diese könnten belästigt werden. „Wenn diese App keine Rechtsgrundlage hat, wie sie die DSGVO vorschreibt, müssen daher entsprechende Sanktionen verhängt und eine Verbreitung der App schnellstmöglich unterbunden werden“, sagte sie in Richtung des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Dieser will sich nun an seine polnischen Kollegen wenden.
Auch amerikanische Tech-Konzerne nutzen Gesichtserkennungs-Technologie, sind in letzter Zeit aber verstärkt auf Distanz gegangen, auch aus Reputationsgründen. IBM will die Software aus Sorge, sie könnte für Überwachung, rassistische Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzungen genutzt werden, ganz zurückziehen. Amazon teilte im Juni mit, man wolle seine Software der Polizei ein Jahr lang nicht zur Verfügung stellen. Organisationen, die etwa nach vermissten Kindern suchen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sein könnten, dürften die Software „Rekognition“ aber weiter nutzen.
Die Politik solle sich in der Zeit Gedanken über die Regulierung der Technologie machen, fordert Amazon und schließt sich damit einer Forderung von Microsoft an. Das Unternehmen bietet ebenfalls Gesichtserkennungs-Software an. Google scheute dagegen davor zurück, es zählte die Technologie schon vor einem Jahrzehnt zu denen, die der Konzern aufgrund von ethischen Erwägungen, sozialer Verantwortung und Gründen der Sicherheit nicht bauen werde.
Auch Facebook betreibt mit Deepface ein Gesichtserkennungssystem, Apple hat im Jahre 2016 das Start-up Emotient übernommen, das eine Software betreibt, die angeblich minimale Gefühlsregungen im Gesicht deuten kann. Angeblich hat Disney damit schon analysiert, wie Menschen auf seine Filme reagieren.