Zeiterfassung der Arbeitnehmer : Dürfen Unternehmen Fingerabdrücke statt Stechuhr verwenden?
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Ein Fingerabdruck-Scanner im Einsatz. Bild: obs
Die Datenschutzgundverordnung erschwert die digitale Zeiterfassung in Unternehmen. Nun hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, inwieweit der Scan biometrischer Merkmale zulässig ist.
Für Betriebe, die in der Zeiterfassung noch auf die gute alte Stechuhr vertrauen, muss es wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Roman von Philip K. Dick klingen: Arbeitnehmer registrieren sich beim Betreten und Verlassen ihres Arbeitsplatzes an einem Scanner mit einem Fingerabdruck. Das Gerät liest dabei nicht den ganzen Finger ein, sondern die bei jedem Menschen unverkennbaren individuellen Rillen an der Fingerkuppe, die sogenannten Minutien, und hinterlegt diese Daten im System.
Die Sichtweise der Arbeitgeber: Der Abgleich solcher biometrischer Merkmale macht den Missbrauch und den Betrug über die Anwesenheitszeiten des Mitarbeiters unmöglich. Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof den Mitgliedstaaten aufgetragen, die Unternehmen zu strengerer Arbeitszeiterfassung zu verpflichten. In den Betrieben herrschte daraufhin zunächst Unsicherheit, dann Experimentierfreude, wie sich in der Erfassung per Fingerabdruck zeigt.
Streit um Nutzung führt zur Abmahnung
Der Scan der Minutien kann ein probates Mittel für den Vorgesetzten sein, Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen – wenn der Angestellte und im Fall eines mitbestimmungspflichtigen Unternehmens auch der Betriebsrat mitspielen. Weil es aber auch um die Erhebung, Verarbeitung und Speicherung persönlicher Daten des Arbeitnehmers geht, kommt auch der Datenschutz ins Spiel. Wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg am Dienstag in einem Streit um eine Abmahnung mitteilte, ist die Verarbeitung von biometrischen Daten nach Artikel 9 Absatz 2 lit. b der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) grundsätzlich verboten und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich (Az.: 10 Sa 2130/19).
In ihrem schon Anfang Juni verkündeten Urteil gingen die Arbeitsrichter davon aus, dass der Einsatz von Fingerabdruck-Scannern für den Zweck des Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich sein dürfte; im Wortlaut orientiert sich das LAG dabei an der Norm des § 26 Absatz1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Wollen Arbeitgeber diese technischen Mittel für ihr Zeiterfassungssystem einsetzen, bedarf es also weiter einer Einwilligung des Arbeitnehmers oder einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. Die Verweigerung der Nutzung durch den Arbeitnehmer sei keine Pflichtverletzung, der Kläger könne die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen.
Arbeitnehmer willigt nicht ein
Seit vergangenem Jahr beschäftigt der Rechtsstreit Fachleute für Datenschutz und Arbeitsrechtler: Ein medizinisch-technischer Assistent in einer radiologischen Praxis weigerte sich, den von seinem Arbeitgeber aufgestellten Scanner zu nutzen. Der Chef sprach eine Abmahnung aus, gegen die sich der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin wehrte. Eine Einwilligung oder eine kollektivrechtliche Vereinbarung lagen nicht vor. Eine Rechtfertigung im Wege einer Abwägung nach § 26 BDSG, in der ein Fingerabdruck-Scanner als verlässliche Methode der Zeiterfassung das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters überwiegt, schied nach Ansicht der ersten Instanz aus (Az.: 29 Ca 5451/19). In der radiologischen Praxis war es offenbar in der Vergangenheit nicht zu Lücken in der Zeiterfassung gekommen.
Die vom Arbeitsgericht aufgestellten hohen Anforderungen für die Erfassung der biometrischen Daten hielten die Datenschutzrechtler Carlo Piltz und Stefan Hessel von der Kanzlei Reuschlaw in ihrer Kommentierung für „wenig überraschend“. Das Gericht halte die biometrischen Zeiterfassungssysteme nicht per se für unzulässig, sondern fordere für deren Einsatz triftige Gründe, schreiben sie in einem Blog-Eintrag. In einem solchen Fall müssen Unternehmen aber einen über die eigentliche Zeiterfassung hinausgehenden Zweck verfolgen, erklärten Arbeitsrechtler. Dieser dürfte vermutlich im Fall von Sicherheitsinteressen von Forschungseinrichtungen, kritischer Infrastruktur oder der Rüstungsindustrie gegeben sein.