Debatte im EU-Parlament : Google-Nutzer sollen mit der Maus abstimmen können
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Eine Demonstration gegen Upload-Filter in Berlin. Bild: Imago
Das EU-Parlament beschäftigt sich mit den großen Internet-Plattformen. Abgeordnete wollen Upload-Filter verbieten und personalisierte Werbung einschränken.
Die Europaabgeordneten verfolgten die Debatte des Parlaments über die Zukunft der EU-Digitalpolitik vom Bildschirm aus. Wegen der steigenden Corona-Zahlen fand die Sitzung in dieser Woche in rein digitalem Format statt. „Treffender hätte es kaum sein können“, kommentierte der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken.
Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht darauf geworfen, welche Rolle die Digitalisierung und die großen Plattformen Google, Amazon, Facebook und Apple im Alltag spielen. Für die Europäische Kommission hat das Thema, von Präsidentin Ursula von der Leyen ohnehin ganz oben auf die Agenda gesetzt, zusätzliche Bedeutung gewonnen. Anfang Dezember will sie genaue Vorschläge dazu vorlegen, wie sie die immer dominanteren Plattformen zähmen will.
Das Europaparlament wollte darauf nicht warten. Die Abgeordneten haben in dieser Woche gleich drei „Initiativberichte“ verabschiedet, in denen sie umreißen, welche Vorgaben sie von der Kommission erwarten. Es geht vor allem um zwei Fragen: Wie kann die EU die Verbreitung von illegalen Inhalten, Falschnachrichten und Hassrede aufhalten und wie verhindern, dass die Plattformen den Wettbewerb behindern und europäische Unternehmen benachteiligen und aus dem Markt drängen?
Diskussion um Upload-Filter
Die Abgeordneten haben den Schwerpunkt auf die Verbreitung illegaler Inhalte gelegt. Bisher befinden sich die Plattformen in einer komfortablen Position. Die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 gesteht ihnen ein Haftungsprivileg zu. Das heißt, sie haften nicht für bei ihnen verbreitete Inhalte – solange sie nichts davon wissen. Das gilt als Voraussetzung für die Entwicklung des „freien Internets“.
Daran soll sich auch nichts ändern. Denn dann wären die Plattformen faktisch gezwungen, sogenannte Upload-Filter zu installieren, die hochgeladene Inhalte auf illegalen Inhalt filtern, mit der Gefahr, dass sie im Zweifel zu viele Inhalte blockieren („overblocking“).
Die Abgeordneten fordern deshalb sogar ein Verbot von Filtern. „Eine automatische Vorabkontrolle darf es nicht geben“, sagt Wölken, der für einen der Berichte federführend zuständig war. „Am Ende muss immer ein Mensch entscheiden.“ Ausgenommen davon sind nach dem Votum die bestehenden Regeln zum Urheberrecht, die heftige Debatten über Upload-Filter ausgelöst haben.
Vereinheitlichen wollen die Europaabgeordneten stattdessen die Regeln für die Meldung von illegalen Inhalten und die Pflicht zum „Herunternehmen“ solcher Inhalte. „Wir brauchen klare ausdifferenzierte Verfahren, auch wie sich Nutzer gegen Sperren wehren können“, sagt die bei den Grünen zuständige Alexandra Geese. Wölken fordert zudem eine – von den Plattformen bezahlte – Schlichtungsstelle.
„Das darf nicht Mark Zuckerberg entscheiden“
Das alles soll sich aber nur auf illegale Inhalte beziehen. Zurückhaltender sind die Abgeordneten, wenn es um Fehlinformationen und Hassrede geht, wobei die christdemokratische EVP-Fraktion in diesem Punkt bereit war weiterzugehen. „Die können wir nicht einfach löschen, weil sie uns nicht passen“, sagt Wölken. „Wir dürfen das aber auch nicht Plattformen überlassen, das darf nicht – wie wir es in Amerika gerade sehen – Mark Zuckerberg entscheiden“, warnt Geese.
Das Problem besteht nach Ansicht von Wölken eher darin, dass Plattformen mit reißerischen Inhalten wie „fake news“ oder Verschwörungstheorien viel Geld verdienen könnten und diese deshalb gezielt potentiell interessierten Nutzern anböten. Wölken wie Geese wollen deshalb verhindern, dass die Plattformen überhaupt so viele Daten über ihre Nutzer sammeln. 20000 Datenpunkte je Person seien unnötig.
Die EU-Abgeordneten fordern deshalb zumindest Transparenzpflichten für Empfehlungsalgorithmen, wenn nicht gleich ein Ende der personalisierten Werbung. Kontextbezogene Werbung müsse reichen, sagt Wölken. Die drei Berichte sind in diesem Punkt nicht hundertprozentig auf einer Linie. Der vom Rechtsausschuss erarbeitete Bericht etwa will zwar kein Verbot, den Nutzern aber die Möglichkeit geben, aus personalisierter Werbung auszusteigen. Das gehe vielen doch zu weit, sagt der dort zuständige FDP-Abgeordnete Moritz Körner. In allen drei Berichten findet sich jedoch das von dem Abgeordneten der Piraten Patrick Breyer geforderte Recht, digitale Dienste anonym nutzen zu können.
Nutzer dürfen nicht an Plattformen gekettet werden
Mehr Transparenz ist zumindest für die Abgeordneten von Grünen und Sozialdemokraten auch ein Teil der Antwort auf die Frage, wie die Plattformen am Missbrauch ihrer Marktmacht gehindert werden können. „Wir sehen, dass einige Plattformen ihre eigenen Produkte immer prominent plazieren“, sagt Geese. Da die EU aber keinen Zugriff auf die Daten habe, sei das schwer zu belegen.
Die Plattformen sollen daran gehindert werden, Daten ihren Geschäftskunden abzugreifen und für die eigenen Zwecke zu nutzen. Ansonsten könnten Amazon und Google mit deren Hilfe erfolgreiche Geschäftsmodelle ihrer Kunden kopieren und ihnen dann Konkurrenz machen. Schließlich dürften die Nutzer nicht an eine Plattform gekettet werden. Sie müssten mit den „Füßen oder der Maus“ abstimmen können. Dafür sollen die Plattformen interoperabel werden. Das würde etwa ermöglichen, eine Kurznachricht von einem Messengerdienst an einen anderen zu schicken.
Nun muss die Kommission entscheiden, was sie von den Forderungen des Parlaments übernimmt. Die zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager gab sich nach der Debatte „ernsthaft beeindruckt“. Die Abgeordneten hätten herausragende Arbeit geleistet.