Lage auf dem Musikmarkt : „Digitales Standbein ist mehr denn je zur Lebensversicherung geworden“
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Auch Plattenläden waren zu Beginn der Corona-Pandemie wochenlang dicht. Bild: dpa
Florian Drücke, der Vorsitzende des Bundesverbands Musikindustrie, sieht trotz der Krise Anzeichen für ein Umsatzplus zum Halbjahr. Manche Folgen schlagen aber erst später durch.
Einzelhandel und Plattenläden zeitweise dicht, viele verschobene Veröffentlichungen, und mit dem Konzertstop fällt auch weiterhin die beste Werbe- und eine gute Verkaufsplattform für Tonträger weg: Die Bedingungen waren und bleiben schwierig, obgleich der Live-Sektor natürlich weitaus schlimmer dasteht. „Wenn eine solche Krise vor zehn Jahren gekommen wäre, hätte unser Branchensegment, die Labelseite, ein Riesenproblem gehabt“, sagt Florian Drücke, der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI) im Gespräch mit der F.A.Z.
„Unser digitales Standbein ist mehr denn je zur Lebensversicherung geworden.“ Es gebe sogar Anzeichen, dass der Gesamtumsatz auf dem deutschen Markt für Musikaufnahmen in der ersten Jahreshälfte trotz der spürbaren Einbußen im physischen Geschäft insgesamt Wachstum zeige. „Die Befürchtung von einigen, dass durch die finanziellen Folgen der Krise massiv Streaming-Abos gekündigt werden, ist bisher nicht eingetreten“, so Drücke.
Dauerärgernis Youtube
Ein Dauerärgernis bleibe hingegen das Musik-Video-Streaming: „Etwa die Hälfte des Musikkonsums findet über Plattformen wie Youtube statt, die aber keine fairen Lizenzen dafür erwerben müssen, so dass deren Anteil am Branchenumsatz nur gut 3 Prozent beträgt.“ Das Audio-Streaming über Dienste wie Spotify stand dagegen 2019 für mehr als 55 Prozent des Umsatzes.
Eine Folge der Krise wird sich indes erst mit Verspätung zeigen: Die Ausschüttungen der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL), die für aufführende Künstler und Tonträgerhersteller die Nutzung von Veröffentlichungen lizensiert, dürften 2020 deutlich sinken. Das liege beispielsweise an der öffentlichen Wiedergabe, da in den verschiedensten Geschäften weniger Musik gespielt wurde, sagt Drücke.
In Folge der Pandemie ist es derweil um die von Vertretern prominenter Künstler wie Helene Fischer oder Peter Maffay befeuerte Debatte um ein nutzerzentriertes Abrechnungsmodell im Streaming recht ruhig geworden. Im Kern geht es hierbei darum, dass im UCPS („User Centric Payment System“) genannten Modell die Abo-Beiträge eines Nutzers nur unter den von ihm gehörten Künstlern beziehungsweise deren Partnern verteilt werden.
Komplizierte Streamingdebatte
Musiker erhalten kein Geld direkt von den Streamingdiensten, sondern über Ausschüttungen ihrer Labels, Verlage und Vertriebe sowie durch die Verwertungsgesellschaften. Nach dem derzeit gängigen „Pro Rata“-Modell sammeln die Dienste alle Nutzergebühren in einem Topf und schütten gemäß einem internen Verteilungsschlüssel an die Rechteinhaber der Musikstücke aus. Dieser orientiert sich an der Gesamtzahl der Streams eines Künstlers auf einer Plattform. Die Kritiker des aktuellen Systems halten dies für undurchsichtig und bemängeln, dass ohnehin oft gestreamte Künstler noch besser dastünden. Gerade weniger bekannte Musiker würden somit von einer Umstellung profitieren.
Auch der Verband unabhängiger Musikunternehmer (VUT) unterstützt die Forderung nach einer Umstellung auf UCPS, nicht zuletzt weil es Manipulationsversuche erschwere. Gegner einer Umstellung warnen etwa vor höheren administrativen Kosten, was die Auszahlungen schmälern könne. Umfangreiche, belastbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Folgen eines nutzerzentrierten Ausschüttungssystems in der Praxis liegen bislang freilich nicht vor.
Und ohne breite Einigkeit in der Branche scheint eine Umstellung ohnehin kaum möglich. Laut BVMI-Chef Drücke gehen die Meinungen zu UCPS allerdings stark auseinander: „Es gibt auf Seiten der kleineren und größeren Marktteilnehmer Befürworter und Kritiker eines nutzerzentrierten Abrechnungsmodells.“
Auch Verlage und Songwriter hart getroffen
Das Konjunkturpaket des Bundes und die vorgesehene, gesonderte Hilfe für die Kultur bewertet Drücke generell positiv: „In der Musikbranche sind die 150 Millionen Euro sehr stark auf die am stärksten betroffene Live-Branche ausgerichtet, was prinzipiell auch richtig ist und solidarisch von der Branche unterstützt wird.“ Dennoch sollte mit Blick auf einen Neustart auch berücksichtigt werden, dass die Wertschöpfungskette in der Musikbranche deutlich darüber hinausgehe, nämlich „über Labels und Verlage bis hin zu den Herstellern von Musikinstrumenten“.
Nicht zuletzt müssen sich zum Beispiel Musikverlage und die von ihnen vertretenen Autoren ebenfalls auf deutlich geringere Einkünfte durch die Nutzung ihrer Werke einstellen. Von der Krise sind neben Konzerten schließlich auch viele Film- und Werbe-Produktionen betroffen.
Partys in Clubs und die verschiedensten Veranstaltungen, auf denen normalerweise Musik gespielt wird, fallen bekanntlich ebenfalls größtenteils weg. Die Geschäftsführerin des Deutschen Musikverleger Verbandes, Birgit Böcher, erklärte so kürzlich gegenüber dem Branchenmagazin „Musikwoche“, es drohten Verluste geplanter Einnahmen in Millionenhöhe.