Werner Vogels im Interview : Amazons Technikchef über die Cloud und das nächste große Ding
- -Aktualisiert am
Amazon-Technologievorstand Werner Vogels Bild: Jean Pierre JANS/REA/laif
Mit seinem Unternehmen AWS erwirtschaftet der Onlineversandhändler die mit Abstand besten Margen. Kunden auf der ganzen Welt vertrauen auf die Amazon-Rechenzentren. Und alles ist erst der Anfang.
Amazon, der größte Onlineversandhändler der Welt, hat derzeit in seinem Kerngeschäft mit Herausforderungen zu kämpfen, Lieferketteschwierigkeiten, ein schwaches Konsumklima, Inflation: Der Druck auf die Margen ist groß. Doch es gibt noch den Geschäftsbereich Amazon Web Services (AWS), der in der Betrachtung noch immer zu häufig übersehen wird, der inzwischen aber entscheidend zum Gesamtbild von Amazon beiträgt. AWS ist ein Anbieter von IT-Diensten in der Cloud. Und nur AWS erwirtschaftete im dritten Quartal 2022 im Amazon-Konzern einen operativen Gewinn.
Das Geschäft läuft richtig gut: Der Umsatz mit Dienstleistungen stieg von 2019 bis 2021 um 90 Prozent auf 228 Milliarden Dollar. Zuletzt hat bei Amazon sogar der Serviceumsatz den Produktumsatz überholt, und dieser bemerkenswerte Trend verdient Beachtung: Zu den Serviceumsätzen gehören AWS, Werbung, Abonnements (wie zum Bespiel „Prime“) und Dienste von Drittanbietern. Im Grunde zählt hierzu also alles, was nicht zu den Online- und physischen Geschäften gehört.
Serviceverkäufe sind aus der Sicht eines Kaufmanns attraktiver als Produktverkäufe, weil sie profitabler sind. Das AWS-Segment hat zum Beispiel eine operative Marge von 30 Prozent, während die klassischen Handelssegmente von Amazon, also die Bereiche Nordamerika und International, in den Hochkonjunkturjahren 2020 und 2021 zusammen eine operative Marge von 3 beziehungsweise 1,5 Prozent hatten. Und mit einem Marktanteil von etwa einem Drittel ist Amazon inzwischen Marktführer im Cloudgeschäft, vor Microsoft und Googles Mutterkonzern Alphabet. Deshalb ist der Niederländer Werner Vogels, Chief Technology Officer (CTO) und Vizepräsident von Amazon, ein begehrter Ansprechpartner. Er gehört zu denjenigen, die das im Jahr 2006 gegründete Unternehmen AWS in den vergangenen Jahren entscheidend geprägt haben. Er wurde im Januar 2005 Chief Technology Officer und im März desselben Jahres Vizepräsident.
„Auch Sportarten zu Datenströmen“
AWS ist für ihn seit dem Angebot des ersten Produkts mit dem Namen „Amazon Simple Storage Service“ (Amazon S3) eine Möglichkeit für die Kunden effizienter, kostengünstiger und sicherer ihre IT-Aufgaben erledigen zu lassen: dezentral, in einem Rechenzentrum von Amazon, eben in der Cloud, und nicht von eigener Hardware beim Kunden, die sich mit Glück erst nach vielen Jahren amortisiert. AWS sei seither auf der Basis der Wünsche der Kunden, die von Amazon-Managern immer als das entscheidende Element für die Strategie und das Handeln des Unternehmens genannt werden, über reine Speicherangebote hinausgewachsen, sagte Vogels während des Weltwirtschaftsforums in Davos im Gespräch mit der F.A.Z. Inzwischen sei AWS in der Lage, seinen Kunden, zu denen in Deutschland zum Beispiel auch BMW, BASF und viele mehr zählen, in der Cloud mehr als 200 verschiedene Dienste anzubieten. Dazu gehöre zum Beispiel auch das Maschinelle Lernen, aber auch Angebote, die es Unternehmen ermöglichten, ihren Mitarbeitern ein besseres Erlebnis rund um das mobile Arbeiten zu schaffen.
Vogels hat in der Branche nicht nur einen Namen als Vordenker von AWS, zum Jahreswechsel blickt er traditionell in die Glaskugel aus seiner Sicht spannender Technologietrends. Heute habe die Menschheit mehr Zugang zu Daten von Wearables, medizinischen Geräten, Umweltsensoren, Videoaufnahmen und anderen vernetzten Geräten als jemals zuvor. „In Kombination mit Cloud-Technologien bekommen wir einen ersten Eindruck davon, wohin uns diese leistungsstarke Mischung aus Informationen und Anwendungen führen kann“, ist er überzeugt. Die nächste Welle von Erfindern entwickle Lösungen zur Wiederaufforstung des Planeten, zur Förderung unserer Jugend und zur Neugestaltung der Lieferkette vom Lager bis zur Auslieferung.
Da der Zugang zu fortschrittlicher Technologie immer allgegenwärtiger werde, komme geradezu eine Flut von Innovationen auf uns zu. So würden Cloud-Technologien den Sport, wie wir ihn kennen, neu definieren: „Wie Musik und Video werden auch Sportarten zu Datenströmen, die wir analysieren können. Die Erkenntnisse, die sich daraus in den kommenden Jahren ergeben, werden die gesamte Sportbranche verändern und das Spielen - und das Erleben - jedes Spiels neu definieren.“
Zudem würden simulierte Welten die Art und Weise, wie wir experimentieren, neu gestalten: „Simulationen, Digitale Zwillinge, diese Technologien reifen seit Jahren langsam heran, aber die Auswirkungen auf den Alltag waren bisher begrenzt. Das wird sich schnell ändern, und noch in diesem Jahr wird die Cloud diese Technologien leichter zugänglich machen“, sagt Vogels.
Drittens werde es einen Innovationsschub bei intelligenter Energie geben. „Energiespeichernde Oberflächenmaterialien, dezentralisierte Netze, intelligente Verbrauchstechnologien, wir werden noch in diesem Jahr eine rasante Entwicklung auf globaler Ebene erleben, die die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen, speichern und verbrauchen, verbessert“, ist Vogels überzeugt. Viertens werde die Einführung von Technologien wie „Computer Vision“ (der digitalen Bildanalyse) und Deep Learning die Lieferkettenprobleme verringern: „Fahrerlose Flotten, autonome Lagerverwaltung und Simulationen sind nur einige der Optimierungen, die zu einer neuen Ära der intelligenten Logistik führen werden.“
Schließlich werde die Verwendung von speziell angefertigten, für die Anwendung der jeweiligen Nutzer entwickelten Chips („Custom Silicon“) rapide zunehmen. Infolgedessen werde sich das Innovationstempo beschleunigen und gleichzeitig würden Energieverbrauch Kosten senken. „Das ist ein großer Fortschritt in der Nachhaltigkeit dessen, was wir tun“, ist Vogels überzeugt. Und das gilt eben nicht nur für neue Laptops von Apple, die mit solchen Chips arbeiten, sondern auch für Rechenzentren von Amazon, in denen wiederum andere, speziell dafür entwickelte Halbleiter zum Einsatz kommen.