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Die Psychologin Nora Blum, 30, hat das Therapie-Start-up Selfapy gegründet. Bild: Andreas Pein

Porträt : Die Volkstherapeutin

Nora Blum hat eine App gegen Depressionen und Angststörungen entwickelt, um Betroffenen die Wartezeit auf eine Psychotherapie zu verkürzen. Der Anfang war zäh. Dann half Jens Spahn.

          8 Min.

          Warum Nora Blum ­Psychologin werden wollte und nie etwas anderes, ist für sie in einem Satz abgehandelt: Es liegt in ihrer Familie. Ihre Mutter ist Psychotherapeutin, ihr Onkel Psychoanalytiker. Von klein auf erlebte sie einen offenen Umgang mit Gedanken und Gefühlen; Selbstreflexion war an der Tagesordnung; Stimmungen wurden besprochen und ausdiskutiert, beim Frühstück, Mittagessen und Abendtisch. Das prägt ein Kind für den Rest seines Lebens – die einen positiv, die anderen negativ. Blum zählt sich klar zu Ersteren. „Wenn die Leute hörten, dass meine Mutter Psychotherapeutin ist, hatten sie oft Mitleid mit mir“, sagt sie. „Ich habe das aber immer als großes Privileg empfunden.“

          Als Kind malte sich Blum ihren Weg deshalb so aus: Psychologiestudium, Ausbildung zur Psychotherapeutin, sich niederlassen und den Menschen helfen. Es kam anders. Sie studierte Psychologie, dann aber gründete sie ein Unternehmen. Da war sie 24 Jahre alt. Denn mit jedem klinischen Praktikum, das sie während ihres Studiums absolvierte, wuchs ihre Fassungslosigkeit darüber, wie in Deutschland die Dinge für Menschen mit psychischen Belastungen liefen. Also beschloss sie, etwas gegen diese Missstände zu tun.

          Wenn Menschen in Deutschland dieser Tage beim Psychotherapeuten anrufen, weil sie dessen Hilfe benötigen, brauchen sie – ironischerweise – gute Nerven. Und Geduld. „Wir haben gerade keine Kapazität“, heißt es da. „Die Warteliste ist sehr lang.“ Wenn man Glück hat, hört man: „Wir melden uns mit einem Termin für ein Erstgespräch.“ Nicht selten heißt es: „Haben Sie es auch schon anderswo versucht?“ Zum Ausmaß dieses Dramas gibt es offizielle Zahlen. Nora Blum referiert sie häufig. Rund 18 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer psychischen Belastung. Fünf Monate brauchen Hilfesuchende aber im Schnitt, bis sie einen Therapieplatz bekommen. Das sind die jüngsten Statistiken, sie stammen aus der Zeit vor der Pandemie. Mit Corona hat sich die Lage verschärft. Allein seit dem ersten Lockdown nahm die Nachfrage nach Psychotherapie um 40 Prozent zu.

          Begleitung durch Ärzte im Hintergrund

          Maja Brankovic
          Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Seit sechs Jahren hilft Blum nun den Betroffenen, ihre Wartezeit bis zum Therapieplatz zu überbrücken. Sie bietet ihnen Onlinekurse gegen Depressionen, generalisierte Angststörungen sowie Panikstörungen auf Rezept an. Sie findet: Wenn der Hilfesuchende nicht zum Therapeuten kommen kann, dann kommt der Therapeut halt zum Hilfesuchenden. Drei Monate dauern die Onlineprogramme jeweils, in wöchentlichen Modulen bekommen die Nutzer mit Videos, Audios, Texten und Übungen Strategien der Verhaltenstherapie beigebracht. „Vom Prinzip funktioniert unser Programm wie ein E-Learning-Tool, mit dem man eine Sprache lernt“, erklärt sie. Nur bekommt man bei Selfapy nicht Grammatik und Vokabeln beigebracht, sondern Tipps und Tricks zum Umgang mit den eigenen Belastungen.

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