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Standortsicherung : Die Märkte für Rohstoffe werden ohne uns verteilt

  • -Aktualisiert am

Gibt es in Deutschland nicht: Gewinnung von Lithium für Akkus in der Atacama-Wüste in Chile Bild: Picture Alliance

Im Gastbeitrag für die F.A.Z. wirbt VDA-Präsidentin Hildegard Müller für den Aufbau einer Agentur für strategische Rohstoffe in der EU.

          3 Min.

          Das Jahr 2022 war schwierig. Krieg, Krisen und Konflikte haben uns die vergangenen zwölf Monate unentwegt begleitet, an unsere Grenzen gebracht, unsere Schwächen schonungslos vorgeführt – und uns die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Transformation mit Nachdruck bewusst gemacht.

          Der erfolgreiche Wandel zu einer klimaneutralen Zukunft ist längst Prämisse von Industrie, Politik und Gesellschaft. Die konkrete Ausgestaltung rückt – notwendigerweise und endlich – in den Vordergrund. Die Analyse der aktuellen Rahmenbedingungen legt dabei viele Problemstellungen offen. Eine davon war – mindestens der breiten Öffentlichkeit – bis vor Kurzem nahezu unbekannt: Rohstoffverfügbarkeiten.

          Inzwischen ist klar: Der industrielle Wandel hin zu mehr Klimaschutz erfordert eine neue Rohstoffbasis. Einige sprechen gar von einem „Zeitalter der Rohstoffe“. Tatsächlich bilden spezifische Rohstoffe die Grundlage für die Transformation – und damit für die Zukunft unserer industriellen Wertschöpfung. Rohstoffpolitik ist also auch Standortpolitik. Ihre Ausgestaltung entscheidet über unsere Wettbewerbsfähigkeit und somit über unsere Rolle und Relevanz auf dem Weg zur Klimaneutralität.

          Die Automobilindustrie hat sich längst aufgemacht, einen konsequenten Weg zur Elektromobilität zu gehen. Ein zentraler Faktor für den weiteren erfolgreichen Hochlauf ist die Rohstoffverfügbarkeit: Batterien brauchen vor allem Lithium, Nickel, Graphit und Kobalt, der E-Motor braucht seltene Erden für Permanentmagnete. Das Monitoring der Rohstoffverfügbarkeit und des zu erwarteten Bedarfs ist dementsprechend essenziell und verdeutlicht eindrucksvoll die dringende Notwendigkeit zum Handeln: In allen Pro­gnosen wird die Nachfrage enorm steigen. Bei den genannten Batterierohstoffen wird sie sich mindestens vervierfachen, teilweise versiebenfachen.

          Recycling alleine reicht nicht

          Die Autoindustrie investiert zusätzlich bereits massiv in die Entwicklung von Recyclingtechnologien, um eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Es wird aber noch lange dauern, bevor sich dieses Potential ausreichend entfalten kann. In zehn Jahren werden die Recyclingprozesse voraussichtlich gerade mal 10 Prozent des gesamten Rohstoffbedarfs in Europa decken können.

          Wir sind also weiter auf Importe angewiesen. Entscheidend ist dabei, weltweite, diverse Bezugsquellen zu haben, die den steigenden Bedarf krisensicher abdecken. Ein Blick auf die aktuellen Verhältnisse zeigt allerdings kein Bild von Unabhängigkeit. Sowohl beim Abbau als auch bei der Weiterverarbeitung sind Deutschland und Europa von einigen wenigen Ländern abhängig. Das liegt vor allem daran, dass Berlin und Brüssel in den vergangenen Jahren versäumt haben, die ehrgeizigen Ziele in der Klimapolitik mit strategischen, wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu unterlegen. Politisch wurde die Notwendigkeit einer aktiven Rohstoffpolitik lange ignoriert – und bis heute nicht mit der notwendigen Entschlossenheit verfolgt. Das widerspricht der berechtigterweise an die Unternehmen gestellten Erwartung, sich diversifizierter und resilienter aufstellen!

          Verschärft wird die Problematik durch das engagierte Vorgehen anderer Weltregionen – die Märkte für Rohstoffe werden aktuell weitestgehend ohne uns verteilt. Ein großes Versäumnis, das ohne massive Kurskorrektur unsere Transformation verlangsamen, im schlimmsten Fall ausbremsen wird. Das muss nicht passieren, wenn Berlin und Brüssel jetzt entschlossen handeln.

          Rohstoffe sind wirtschaftspolitische Herausforderung

          Rohstoffengpässe zu verhindern ist keine geologische Herausforderung – es ist eine wirtschaftspolitische. Diese zentrale Erkenntnis muss für mehr politisches Tempo sorgen. Europa braucht jetzt eine Agentur für strategische Rohstoffe sowie ein Bekenntnis zur Bereitstellung von Risikokapital für strategische Rohstoffprojekte. Der Ball liegt in der Politik: Nur auf dieser Ebene können die Rahmenabkommen geschlossen werden, die es der Industrie anschließend rechtssicher ermöglichen, entsprechende unternehmerische Initiativen und Projekte zu starten. Wir sind bereit!

          Ein aktuelles Beispiel: Afrika. Alle Rohstoffe für die Elektromobilität sind dort auffindbar, werden allerdings häufig nicht vor Ort, sondern vor allem in China weiterverarbeitet. Eine Chance für uns: Deutschland und die EU müssen sich für die Weiterverarbeitung der Rohstoffe vor Ort einsetzen. Wir müssen einen Teil der Wertschöpfungskette lokal ermöglichen, um uns von unseren Wettbewerbern abzusetzen. Dadurch sichern wir uns nicht nur eine nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen, sondern fördern die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort.

          Fakt ist: Die Zeit spielt gegen uns. Um uns neue Optionen auf den globalen Rohstoffmarkt zu verschaffen, braucht es jetzt groß angelegte Impulse seitens der Politik. Rohstoffpolitik heißt, Optionen zu schaffen. Die Strategien aus Brüssel und Berlin dürfen sich nicht in bürokratischen Detailfragen verlieren, sondern müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Dabei sind Rohstoff- und Handelsabkommen die tragenden Säulen für eine darauf aufbauende krisensichere, robuste und erfolgreiche Transformation der Wirtschaft. Machen wir uns gemeinsam stark für die vor uns liegenden Herausforderungen!

          Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA).

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