Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr : Die Industrie soll dauerhaft günstigen Strom bekommen
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Stromleitungen bei Schwerin Bild: ZB
Robert Habeck will im ersten Quartal ein Konzept vorlegen. Ob die staatliche Absicherung über Netzentgelte oder die KfW erfolgen soll, ist noch unklar.
Die Gaspreise gehen zwar zurück, die Strompreise in Deutschland bleiben aber höher als in vielen anderen Ländern – und gefährden damit die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Um das zu ändern, arbeitet das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck (Grüne) an einem Konzept zur Einführung eines Industriestrompreises. Seit Donnerstag gibt es einen Fahrplan dazu, bis März sollen Vorschläge vorliegen. Man müsse „die Vorteile der erneuerbaren Energien als Grundlage eines wettbewerbsfähigen Industriestrompreises bei den Unternehmen ankommen lassen“, kündigte Habeck im Bundestag an. Das Vorhaben sei komplex, „aber wir werden sie im ersten Quartal angehen“.
Was genau geplant ist, ließ Habeck offen. In Berlin kursiert aber ein von seinem Haus in Auftrag gegebenes Eckpunktepapier mehrerer Beratungsgesellschaften zum Industriestrompreis. Darin heißt es, die historisch hohen Strompreise und deren unsichere Entwicklung bedrohten die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Nur wenn die Tarife sänken, gelinge die „klimafreundliche Transformation“. Um auszuhelfen, müsse ein Industriepreis kommen, der „möglichst nahe“ am Gestehungspreis für Windenergie auf See liege. Dieser beträgt etwa 70 und 120 Euro je Megawattstunde. Zum Vergleich: Tatsächlich zahlten Industriekunden 2022 im Durchschnitt 320 bis 530 Euro.
Das Entscheidende an diesem „Basismodell“ ist, dass der Staat in den Markt eingreifen würde. Zwar nicht mit einer direkten Förderung, wohl aber dadurch, dass er Stromanbieter und industrielle Nachfrager zusammenbrächte und die Ausfallrisiken trüge. Eine entscheidende Rolle dabei spielen Differenzverträge. Mit ihnen wird angebotsseitig ein Höchstwert für den „Offshore-Windstrom“ festgelegt, auf der Nachfrageseite soll es Auktionen geben. Die Differenz zwischen dem Referenzpreis und dem Vertragspreis trüge die öffentliche Hand. Unternehmen, die mitbieten wollen, können das nur im Umfang des Vorjahresverbrauchs tun und müssen Mindestanforderungen erfüllen, etwa gemäß den EU-Leitlinien für Klimabeihilfen. Die Ausschreibungen soll die Bundesnetzagentur organisieren.
Woher das Geld zur staatlichen Absicherung stammen soll, ist unklar. Es sei „zu diskutieren“, ob die „finanzielle Erfüllung“ von den Übertragungsnetzbetreibern zu leisten wäre, heißt es in dem Papier. Das würde bedeuten, dass alle Verbraucher über die Netzentgelte zur Kasse gebeten würden. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass die staatliche Förderbank KfW die Ausfallrisiken schultert. Mit den ersten Ausschreibungen rechnen die Ministeriumsberater frühestens 2024. Die benötigten Stromerzeugungsanlagen könnten nicht vor 2029 ans Netz gehen.
Die Autoren des Papiers sehen selbst, dass womöglich zu wenig Strom bereitstünde und dieser noch dazu viel zu spät käme. Zudem dürfe man die industriellen Stromkunden mit Auflagen und Gegenleistungen nicht derart belasten, dass die beabsichtigte Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wieder zunichtegemacht würde.
Habecks Ankündigung stieß auf unterschiedliche Reaktionen. „Ein schneller und wettbewerbsfähiger Industriestrompreis für die ganze Industrie – am besten auf EU-Ebene – wäre ein echter Gamechanger, ein Wendepunkt“, lobte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie VCI, Wolfgang Große Entrup, im Gespräch mit der F.A.Z. Für den Umbau zur Klimaneutralität setze die Branche auf elektrische Prozesse. „Dafür brauchen wir Vertrauen in erträgliche Strompreise und Rückenwind der Politik.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag verwies darauf, dass deutsche Betriebe für den Strom das Vierfache eines französischen Wettbewerbers bezahlten. „Daher ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung Gedanken macht, wie die Preise wettbewerbsfähig werden können“, sagte Hauptgeschäftsführer Achim Dercks der F.A.Z. „Dennoch halten wir den Vorschlag des Wirtschaftsministers für keine geeignete Lösung. Schon allein deswegen, weil dieser erst in einigen Jahren greifen würde.“
Für pragmatischer hält der DIHK den amerikanischen Inflation Reduction Act: Betreiber von Windrädern und Solarparks sollten durch Steuervergünstigungen belohnt werden, wenn sie einen langfristigen Abnahmevertrag abschlössen. Die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer, sagte, sie halte es für problematisch, „wenn wir eine Industriestruktur darauf aufbauen, dauerhaft einen subventionierten Strompreis zu haben“.
Der Chef der Industriegewerkschaft Metall, Jörg Hofmann, forderte: „Wir brauchen für die energieintensive Industrie einen Industriestrompreis, der es erlaubt, im globalen Wettbewerb zu bestehen.“ Die Gewerkschaft hat für den 9. März zu einem Aktionstag Industriestrom mit Kundgebungen aufgerufen.