Energieversorgung : So streiten die Grünen jetzt über die Atomkraft
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Das Atomkraftwerk Isar 2. Das Kernkraftwerk im Landkreis Landshut ist das letzte in Bayern, das noch nicht endgültig vom Netz gegangen ist. Bild: dpa
Um die Versorgung zu sichern, will Wirtschaftsminister Habeck die drei verbliebenen deutschen AKWs notfalls länger laufen lassen. Opposition kommt jetzt ausgerechnet aus seiner eigenen Partei.
In der Debatte um eine Laufzeitverlängerung von Atom- und Kohlekraftwerken zeichnet sich ein Konflikt innerhalb der Bundesregierung ab. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Energieabhängigkeit von Russland hatten die grünen Minister Robert Habeck (Wirtschaft) und Annalena Baerbock (Außenressort) den vorübergehenden Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken nicht ausgeschlossen. Habeck hält es auch für möglich, dass die letzten drei Kernreaktoren, die eigentlich Ende des Jahres vom Netz gehen sollen, weiterlaufen könnten. Energieversorger, Wirtschaft und mehrere Landesregierungen stehen den Plänen offen gegenüber.
Kritik kommt jetzt aber von Habecks und Baerbocks Parteikollegin und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). „Aus Sicherheitsgründen halte ich eine Laufzeitverlängerung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland für nicht verantwortbar“, sagte sie am Donnerstag der F.A.Z. Während Befürworter anführen, die Kraftwerke müssten wegen der Invasion in der Ukraine am Netz bleiben, dreht Lemke dieses Argument um. In der Krisenzeit könnte der Weiterbetrieb die Bundesrepublik „sogar verwundbarer machen“, warnte sie. „Die große weltweite Sorge um die AKW-Sicherheit in der Ukraine führt uns allen gerade das potentielle Schadenausmaß von Atomkraftwerken dramatisch vor Augen.“ Natürlich sei es geboten, die Versorgung krisenfest zu gestalten. Das heißt für die Ministerin aber etwas anderes: „Erstens: Energieabhängigkeiten vom Ausland reduzieren. Das machen wir durch einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Und zweitens: keine weiteren Risikofaktoren und damit keine Laufzeitverlängerung.“
Wissenschaftler sehen in der Meinungsverschiedenheit am Kabinettstisch eine Rückkehr des Flügelstreits zwischen Real- und Fundamentalpolitikern. Die grüne Basis, die Umwelt- und Klimabewegung gelten als eher links und fundamental, Ähnliches lässt sich von Teilen der verjüngten Bundestagsfraktion sagen. Im Kabinett vertreten Lemke und Familienministerin Anne Spiegel dieses Lager, während Habeck, Baerbock und Agrarminister Cem Özdemir den „Realos“ zugerechnet werden.
Wirtschaftsweiser lobt „Realitätssinn“ der Grünen
Der Frankfurter Ökonom Volker Wieland, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, sagte der F.A.Z.: „Es ist sehr ermutigend, wie viel Realitätssinn Habeck und Baerbock an den Tag legen. Dass sie bereit zu sein scheinen, für die Versorgungssicherheit Atomkraft und Kohle länger zu nutzen, auch wenn vielen in ihrer Partei das nicht gefällt. Das müssen sie ausfechten.“ Die Weltlage spreche für den Realo-Flügel, meint der Wirtschaftsweise: „Das ist jetzt nicht die Zeit, um ideologische Ziele durchzusetzen, sondern Realpolitik.“ Diese Frage sieht er auch im Licht des Machterhalts und der Regierungsfähigkeit: „Wenn die Grünen die Ampel handlungsunfähig machen würden, würden sie vermutlich eine staatstragende rot-schwarz-gelbe Lösung provozieren.“
Der Demokratieforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erinnerte daran, dass in der Friedensbewegung ebenso eine Grundlage der Grünen liege wie in der Antiatomkraftbewegung. Derzeit finde in der Partei auf ähnliche Weise eine „Prioritätenverschiebung“ statt wie 1999 beim Bundeswehreinsatz im Kosovo. Angesichts der „ethnischen Säuberungen“ dort rechtfertigte Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Entsendung damals damit, dass die Grünen zwar für „Nie wieder Krieg“ stünden, aber auch für „Nie wieder Auschwitz“. Bei den Grünen sei der „moralische Subtext“ sehr wichtig, der durch den Überfall auf die Ukraine angesprochen werde und zu dem energiepolitischen Kurswechsel geführt habe, so der Politikwissenschaftler. Ähnliches sei sicherheitspolitisch in der SPD zu beobachten. Beide Parteien verschöben „fest geglaubte Grenzsteine“.
Baerbock und Habeck seien keine reinen Ressortminister, sondern fühlten sich auf staatsmännische Weise für die Politik im Ganzen verantwortlich. Bei Habeck komme hinzu, dass er als Energieminister die Versorgungssicherheit gewährleisten müsse. Lemke indes ist Merkel zufolge eine „relativ unbekannte Ministerin der zweiten Reihe“, die sich mit dem Thema zu profilieren suche. Andererseits sei nicht ihre letztlich konstante Position „legitimationspflichtig“, sondern die Kehrtwende der anderen Minister. Erst in Wochen oder Monaten, wenn klar sei, wie sich der Krieg und die Brennstofflieferungen entwickelten, werde sich zeigen, welche Seite sich durchsetze.
Habeck hatte während seines Besuchs in Washington betont, dass er die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht ideologisch prüfe, sondern um für eine potentielle Notsituation gewappnet zu sein. Doch erste Gespräche mit Energieversorgern und anderen Fachleuten in den Landesregierungen hätten ergeben, dass das „kein hilfreicher Weg“ sei. Die Betriebsgenehmigungen liefen Ende des Jahres aus. „Atomkraftwerke ohne Sicherheitsgenehmigung laufen zu lassen scheint mir doch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“, sagte Habeck nach einen Gespräch mit US-Energieministerin Jennifer Granholm. Eine neue Genehmigung sei auch deshalb schwierig, weil diese gewöhnlich mit neuen Auflagen verbunden sei. Für die nächsten beiden Winter „werden wir bessere Alternativen haben“, sagte Habeck.