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Kommentar : Draghis Hypothek

Draghi unter Druck: Die Kritik am billionenschweren Anleihekaufprogramm der EZB wächst. Bild: dpa

Die Europäische Zentralbank kauft und kauft und kauft Staatsanleihen, für gewaltige Summen. Die vermeintliche Krisenfeuerwehr bereitet damit den Weg für die nächste Finanzkrise.

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          Was muss noch geschehen, damit die EZB den Fuß vom Gas nimmt? Sie kauft und kauft und kauft für gewaltige Summen Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen. Damit drückt die Europäische Zentralbank Liquidität ins Finanzsystem, 60 Milliarden Euro jeden Monat. Aber ist eine derart expansive Geldpolitik noch angemessen? Immer mehr Ökonomen neigen zu der Ansicht, dass die EZB endlich vom Gas runtergehen sollte. Bundesbankchef Jens Weidmann wünscht einen „zügigen“ Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik.

          Doch die Mehrheit der EZB-Räte zaudert und zögert. Allenfalls im Schneckentempo möchte sie zum Ausgang. Auch bei der Ratssitzung an diesem Donnerstag wird es noch keine Entscheidung geben. EZB-Chef Mario Draghi beschwört als Leitmotiv „Geduld“ und „Vorsicht“. Dabei ist das makroökonomische Bild längst so, dass der Ausstieg angezeigt wäre.

          Wirtschaft des Euroraums wächst seit mehr als vier Jahren

          Die Wirtschaft des Euroraums wächst seit mehr als vier Jahren, dieses Jahr wohl mit rund 2 Prozent. Jüngst hat die Stimmung ein Zehn-Jahres-Hoch erreicht. Die Inflationsrate ist zuletzt wieder gestiegen, in Deutschland auf 1,8 Prozent, im Euroraum auf 1,5 Prozent. Rechnet man die Energiepreise heraus, beträgt die Kernrate 1,2 Prozent. Das liegt zwar unter dem mittelfristigen EZB-Ziel, doch ist das nicht schlimm. Die Inflation wird heute in stärkerem Maße von globalen Faktoren bestimmt. Die EZB sollte also nicht auf Biegen oder Brechen versuchen, die Teuerung anzuheizen. Abzüglich der Inflationsrate liegt der reale Leitzins weit im negativen Bereich. Damit ist die Geldpolitik heute expansiver als auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ist das nicht ein bisschen verrückt?

          Auch der Vergleich mit Amerika zeigt, dass ein Ende der ultraexpansiven Krisenpolitik angezeigt wäre: Die Konjunktur in Europa ist kräftiger als 2013 in Amerika, als die Federal Reserve mit dem Zurückfahren ihrer Anleihekäufe begann. Mit 9 Prozent liegt die Arbeitslosenquote im Euroraum auf dem niedrigsten Stand seit Anfang 2009. Sie dürfte weiter sinken, das eher lahme Lohnwachstum, laut Draghi ein „Schlüsselfaktor“, absehbar stärker werden, auch wenn man keine großen Sprünge erwartet.

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          Mit einer fortgesetzten Geldflut kann und sollte die EZB die Konjunktur nicht weiter anheizen. Mehr (nachhaltiges) Wachstum wäre nur durch wachstumsfördernde Strukturreformen der Regierungen möglich. Der Druck zu solchen Reformen wird aber durch die Nullzinspolitik eher vermindert. Fortgesetzte Anleihekäufe bringen mehr negative Nebenwirkungen und Risiken als ökonomischen Nutzen. Je länger die Null- und Negativzinspolitik fortdauert, desto größer werden die schädlichen Nebenwirkungen. Auf manchen Immobilienmärkten in deutschen Großstädten sieht man schon Ansätze für Blasen. Die Nullzinspolitik treibt Investoren auf der Suche nach Rendite ins Risiko. In den Bankbilanzen werden die Zinsänderungsrisiken größer. Eine zu lange Phase der Nullzinspolitik bedroht die Finanzstabilität. Die EZB als vermeintliche Krisenfeuerwehr bereitet damit den Weg für die nächste Finanzkrise. Zudem droht eine Zombiefizierung, wenn eigentlich nicht lebensfähige Unternehmen und Banken nur noch mit Billiggeld-Krediten über Wasser gehalten werden. Wohin das führt, kann man in Japan sehen.

          Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik verschwischt

          Außerdem gerät Europas Notenbank immer tiefer in ein sumpfiges Gebiet, weil sie mit ihrem billionenschweren Anleihekaufprogramm die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik verwischt. Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst kritisiert, „gewichtige Gründe“ sprächen dafür, dass die EZB in Wirklichkeit eine verbotene monetäre Staatsfinanzierung betreibe. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern der Staaten und können nur noch eingeschränkt unabhängig handeln. Es kommt zu einer fatalen Verkettung.

          Auch diese Konstellation ist ein Grund dafür, warum die Notenbankchefs im EZB-Rat, in dem der Süden eine strukturelle Mehrheit hat, es nicht eilig haben mit dem Ausstieg. Der Ausstieg ist zwar technisch möglich, aber die Entwöhnungskur vom billigen Geld wird schmerzhaft. Insgeheim dient die Nullzinspolitik auch einer großen Umverteilung innerhalb Europas vom weniger hoch verschuldeten Norden in den hochverschuldeten Süden, mithin ist sie Teil und Preis der Euro-Rettungspolitik.

          Die EZB-Räte werden am Donnerstag neue Ausreden finden, weshalb noch kein klarer Ausstiegspfad beschlossen wird. Der gestiegene Euro-Wechselkurs verunsichert manchen. Vielleicht werden sie die Inflationsprognose deshalb nach unten korrigieren. Andere fürchten sich vor möglichen Überreaktionen der Märkte und sprunghaft steigenden Zinsen, wenn die EZB bekanntgibt, wann und wie sie den üppig sprudelnden Geldhahn etwas zudreht. Aber die Märkte sind doch schon weiter. Viele Finanzexperten empfehlen, endlich Klarheit über den Ausstieg zu schaffen. Die EZB liegt hinter den Markterwartungen. Auch so kann man die Glaubwürdigkeit beschädigen. Draghi ist noch zwei Jahre EZB-Präsident. Wenn es ihm nicht gelingt, bis dahin die Kurve in Richtung einer echten Normalisierung der Geldpolitik zu kriegen, wäre dies eine schwere Hypothek.

          Philip Plickert
          Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.

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