Frankfurter Buchmesse 1564 : Die Entdeckung des Egoismus
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Warum schindet sich der Bauer auf dem Feld? Vielleicht aus Eigennutz? „Die Kornernte“ von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem Jahr 1565. Bild: Picture-Alliance
Schon 200 Jahre vor Adam Smith entdeckte ein Deutscher die positiven Effekte von Eigennutz. Die Frankfurter Buchmesse spielte für ihn eine wichtige Rolle.
Die in Frankfurt am Main im Herbst 1564 stattgefundene Messe war in zweierlei Hinsicht ein historischer Wendepunkt: Erstmals lag ein gedruckter Katalog der zur Herbstmesse neu veröffentlichen Bücher vor, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt von einer regelmäßig stattfindenden „Frankfurter Buchmesse“ gesprochen werden kann. Gerade in diesem ersten Katalog findet sich dann aber auch eine Schrift, deren Inhalt den Geist einer neuen Zeit atmet, in der menschliches Handeln, gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht, ausschließlich als Ausdruck des Strebens nach Eigennutz gedeutet wird. Es handelt sich um ein Buch des Ulmer Militärexperten Leonhard Fronsperger (1520–1575) mit dem Titel „Von dem Lob deß Eigen Nutzen“, das in Frankfurt am Main in der „Companei“ von Sigmund Feyerabend gedruckt und verlegt wurde.
Zweihundert Jahre vor Adam Smith
Das Buch fand bislang wenig Beachtung, obwohl Fronsperger darin Thesen formuliert, die sich in ganz ähnlicher Form mehr als 150 Jahre später in der „Bienenfabel“ von Bernand Mandeville oder im „Wohlstand der Nationen“ von Adam Smith wiederfinden. Beide Werke gelten bis heute als Grundlagen der modernen, liberalen Lehre von der Wirtschaft, und die Herkunft ihrer Verfasser aus dem calvinistisch geprägten Nordwesten Europas erschien als eine Bestätigung für Max Webers These, dass der „Geist des Kapitalismus“ eng mit der Entstehung und Ausbreitung der Ethik des Calvinismus verbunden war.
Die Schrift des Lutheraners Fronsperger aus Ulm und ihre Präsentation auf der Frankfurter Herbstmesse des Jahres 1564 modifizieren diese Deutung. Sie lenken den Blick auf die Reichsstädte im südlichen Deutschland in der Zeit zwischen der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg und ihr besonderes Klima wirtschaftlicher Dynamik und regen intellektuellen Disputs um das neue Bild vom Menschen. Schon vor der Reformation setzte offensichtlich ein Prozess der moralischen Umdeutung von „Leidenschaften und Interessen“ ein, in dem die mittelalterlich-christliche Bewertung von Eigennutz als einer Sünde durch eine realistisch-instrumentelle Sicht des Eigennutzes abgelöst wird, die den Weg in eine dynamisch wachsende Wirtschaft ebnete. Vor diesem Hintergrund trug die Frankfurter Buchmesse von 1564 dazu bei, den neuen „Geist des Kapitalismus“ in die breitere Öffentlichkeit zu tragen.
Frankfurt, das „Kaufhaus der Deutschen“
Frankfurt am Main war spätestens mit dem 1240 von Kaiser Friedrich II. gewährten Geleitschutz für die Besucher als wichtigste Handelsmesse etabliert. Als Folge der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im nahen Mainz entwickelt sich Frankfurt, das „Kaufhaus der Deutschen“, nach 1450 auch zu einem Zentrum des wissenschaftlichen und politischen Austauschs. Künstler, Dichter, Wissenschaftler, Reformatoren und Humanisten besuchten zu Messezeiten die Buchgasse am Main.
Die Verbreitung ihrer neuen Ideen besorgte der Buchdruck, mit dem zum ersten Mal für einen medialen Massenmarkt produziert werden konnte. Die Verleger tätigten ihre hohen Anfangsinvestitionen nur, wenn sie den Absatz einer hohen Auflage erwarten durften, womit sie aktiv an der Auswahl und Verbreitung populärer Autoren und Meinungen beteiligt waren. Bücher mussten sich gut verkaufen, um den finanziellen Aufwand ihrer Drucklegung zu rechtfertigen. Martin Luthers Thesen fanden auch deswegen schnell weite Verbreitung, weil seine Sprache gut beim Leser ankam. Die „Deutsche Theologie“ schaffte es auf nicht weniger als 70 Auflagen, mit dem „Narrenschiff“ von Sebastian Brant, das 1494 erschien, hatte der Buchhandel in Frankfurt schon vorher seinen ersten Bestseller erlebt.