Trotz Ukraine-Krise : Deutsche Konzernchefs suchen Putins Nähe
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Deutsch-russische Wirtschaft und Politik an einem Tisch im Jahr 2018 Bild: Imago
Inmitten der Ukraine-Krise wollen deutsche Spitzenmanager mit Präsident Putin wie fast jedes Jahr über Wirtschaftsthemen reden. Das löst Kritik aus.
Wenn nicht gerade eine Pandemie dazwischenkommt, treffen sich rund 20 deutsche Topmanager einmal im Jahr mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Mal im Kreml, mal in Putins Lieblingsresidenz in Sotschi. Anderthalb bis drei Stunden dauert der Austausch über die deutsch-russische Wirtschaft und gemeinsame Projekte. Immer wieder hat das Treffen für Kritik gesorgt – etwa 2019, als die Bundesanwaltschaft gerade wegen eines Mordes im Berliner Tiergarten ermittelte, der schon damals nach einem Auftrag des Kremls aussah, was das Gericht später auch bestätigte. In diesem Jahr soll die Gesprächsrunde Anfang März als Videotelefonat stattfinden – obwohl Russland, wie viele im Westen befürchten, jederzeit den Angriffsbefehl auf die Ukraine geben könnte.
Der Veranstalter, der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, hat sich abgesichert: Schon im Vorfeld habe es eine enge Abstimmung mit der Bundesregierung gegeben, hieß es aus dem Verband. Eine Situation wie in Italien, wo die Regierung kürzlich die Organisatoren eines ähnlichen Termins vergeblich um eine Absage gebeten hatte, kann man sich beim Ost-Ausschuss nicht vorstellen. Bis 2013 fanden die Treffen mit Putin noch im Rahmen von Regierungskonsultationen statt, die wegen Russlands Übergriffen auf die Ukraine 2014 ausgesetzt wurden. Danach wurden sie im neuen Format – nun ohne Bundeskanzlerin oder Wirtschaftsminister – weitergeführt. Man müsse reden, auch in schwierigsten Zeiten, heißt es aus dem Ost-Ausschuss.
Das sehen in Berlin nicht alle so: „Natürlich ist es grundsätzlich sinnvoll, miteinander im Dialog zu bleiben. Dennoch hätte ich mir von den Unternehmen im Ost-Ausschuss mehr Sensibilität für die aktuelle Situation gewünscht“, sagt Lukas Köhler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP und Klima- und Energiefachmann seiner Partei. „Angesichts der unverhohlenen Drohungen Russlands gegen die Ukraine ist business as usual sicher nicht der richtige Weg“, sagte Köhler. „Es wäre ein angemessenes Signal in Richtung Putin gewesen, das diesjährige Treffen abzusagen und dem russischen Präsidenten keine hochrangige Plattform der Art zu bieten, wie er sie gewöhnlich für seine Propagandazwecke zu nutzen weiß.“ Eine Sprecherin von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) wollte die geplante Veranstaltung des Ost-Ausschusses dagegen nicht kommentieren. „Das ist ein eingetragener Verein, der für seine Veranstaltungen und Termine die Verantwortung trägt“, sagte sie.
Welche Unternehmenschefs an dem Gespräch teilnehmen werden, ist noch nicht klar. Öffentlich zugesagt haben bisher der Chef des Handelskonzerns Metro, Steffen Greubel, und Christian Bruch, Chef von Siemens Energy. Im Ost-Ausschuss heißt es, unter den wichtigsten Investoren sei das Interesse an der Veranstaltung groß; im Präsidium der Lobbygruppe sitzen etwa noch Bayer-Vorstandschef Werner Baumann, Bilfinger-Aufsichtsratschef Eckhard Cordes und Fleischfabrikant Clemens Tönnies. Auch Siemens, VW und Daimler, Henkel und der Industriegasekonzern Linde gehören zu den aktivsten deutschen Konzernen in Russland.
Medizinische Zwangsuntersuchungen für Expats in Russland
Ein Thema, das bei dem Gespräch in diesem Jahr eine Rolle spielen dürfte, sind die medizinischen Zwangsuntersuchungen, denen sich Expats in Russland neuerdings unterziehen müssen. Alle Ausländer, die zu Arbeitszwecken nach Russland kommen, müssen nach aktueller Gesetzeslage regelmäßige Blut- und Röntgenuntersuchungen durchlaufen; auch Familienangehörige sind betroffen, darunter Kinder von sieben Jahren an. Die deutsch-russische Auslandshandelskammer (AHK), die sonst stets bemüht ist, Optimismus über die Lage der Wirtschaftsbeziehungen zu verbreiten, meldete kürzlich, die Zwangstests seien ein Grund dafür, dass immer mehr deutsche Firmen das Land verließen: Waren 2011 noch 6300 deutsche Unternehmen in Russland gemeldet, sank der Wert bis 2021 um 42 Prozent auf nur noch 3651 Firmen.
AHK-Chef Matthias Schepp nannte gegenüber der F.A.Z. die schlechte politische Lage als einen der entscheidenden Faktoren; bei vielen im Westen gelte Russland inzwischen als „toxisch“, das wirke sich auch auf die Attraktivität eines Standorts aus. Die Firmen, die blieben, verdienten aber „gutes Geld“; von den großen Unternehmen werde wohl keines wegen der Zwangstests das Land verlassen. Ohnehin sei die AHK zuversichtlich, dass es gelingen werde, die neue Regelung abzuschwächen oder ganz zu kippen. Dem Ost-Ausschuss zufolge lag Russland 2021 mit einem Handelsvolumen von knapp 60 Milliarden Euro an dritter Stelle der wichtigsten osteuropäischen Handelspartner Deutschlands.
Seit einigen Jahren spüren die deutschen Unternehmen in Russland immer deutlicher die Folgen des russischen Protektionismus: Seit 2014 bemüht sich die russische Regierung, die Wirtschaft vom Westen unabhängig zu machen. Als Antwort auf die westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts hat sie etwa die Einfuhr verschiedener Lebensmittel aus europäischen Ländern verboten, um die eigene Landwirtschaft zu fördern. Ausländische Unternehmen werden zudem zur Verlagerung ihrer Produktion nach Russland gedrängt; einige lokale Kunden bevorzugen schon russische Anbieter. Eine weitere Gesetzesinitiative will nun die Rechte von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung beschränken und sie von bestimmten Ausschreibungen ausschließen. Sollte das Vorhaben umgesetzt werden, wäre das ein weiteres „sehr schlechtes Signal“ für das Geschäftsklima, sagt AHK-Chef Schepp.