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Finanzkrise : Das große Island-Abenteuer der deutschen Banken

Am Gletschersee Jökulsárlón wurden schon zwei James-Bond- Filme gedreht. Fast genauso spannend ging es vor ein paar Jahren in Islands Banken zu. Bild: Stephan Wieland/laif

Im Herbst 2008 stand Island am Rande des Staatsbankrotts. Ein neues Buch macht klar, welche Rolle dabei die Landesbanken und die Deutsche Bank spielten.

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          Glitnir, Kaupthing, Landsbanki: Das sind nicht die Namen von drei finsteren Rachevögeln aus der altnordischen Mythologie. Es sind die Namen jener drei isländischen Banken, die zwischen 2002 und 2008 Geldgeber aus aller Welt dazu brachten, ihnen phantastische Summen zu leihen. Sie waren dreist. Sie arbeiteten mit allen Tricks. Und sie fanden für ihre haarsträubenden Geschäfte auf dem internationalen Kapitalmarkt immer wieder Partner, die entweder noch gieriger waren als sie selbst oder einfach nur naiv. Am Ende, kurz vor dem Zusammenbruch der drei Banken im Oktober 2008, standen in ihren Büchern Verbindlichkeiten, die auf dem Papier zehnmal so viel wert waren wie die gesamte isländische Wirtschaftsleistung. Aus keinem anderen Land der Welt hatten sie so viel Kredit bekommen wie aus Deutschland.

          Sebastian Balzter
          Redakteur in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Was damals auf Island geschah, gehört in jedes Lehrbuch über Finanzkrisen und ihre Bewältigung. Der Zusammenbruch der drei Banken brachte die Inselrepublik an den Rand des Staatsbankrotts. Darauf folgten spektakuläre Proteste der Bevölkerung auf der Straße und der Rücktritt der Regierung. Nirgendwo sonst hatte sich die Finanzbranche so sehr von den volkswirtschaftlichen Grundlagen entkoppelt wie auf Island, das eine eigene Währung hat, aber nur 320.000 Einwohner, also ungefähr die Bevölkerung von Bonn, und doch am großen Rad der Finanzmärkte drehen wollte - im Grunde genommen mit einer einzigen großen Spekulation, dass nämlich die Zinsen auf Island höher bleiben würden als in den meisten anderen Ländern der Welt, ohne dass der Wechselkurs der isländischen Krone jemals deutlich nachgeben würde, was nach ein paar Jahren der Überhitzung aber geradezu zwangsläufig geschehen musste . Nirgendwo sonst sind im Zuge der Krisenbewältigung dann aber auch so viele namhafte Banker für ihre kriminellen Machenschaften vor Gericht gebracht und verurteilt worden wie auf Island, zwei Dutzend sogar zu Gefängnisstrafen. Und während anderswo die Verluste der Banken durch Staatskredite sozialisiert wurden, nach offizieller Lesart stets zur Vermeidung von Schlimmerem, mussten auf Island weder die Steuerzahler noch die Kleinsparer büßen. Stattdessen mussten die Investoren, die zuvor so gerne vom stürmischen Wachstum der drei isländischen Banken profitiert hatten, auf große Teile ihrer Forderungen verzichten.

          Volles Risiko, wenig Ahnung

          Deutsche Banken – allen voran die Deutsche Bank, aber auch die DZ und die Deka Bank, die Landesbanken aus Bayern und dem Rest der Republik sowie die staatliche Förderbank KfW – haben in diesem Krisen-Lehrstück eine besonders gewichtige, ganz und gar unrühmliche Rolle gespielt. Sie alle mischten kräftig mit beim Milliardenpoker auf der Vulkaninsel, ob als Drahtzieher oder Mitläufer, und sie alle verbuchten am Ende horrende Verluste. Das ist nach 2009 rasch in Vergessenheit geraten, weil schon bald die Schuldenkrise in Südeuropa die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zog. Der Finanzelite in den Frankfurter Bankentürmen wird das recht gewesen sein. Aber nun gibt es einen gute Gelegenheit, dieses besondere Kapitel der deutsch-isländischen Beziehungen noch einmal unter die Lupe zu nehmen.

          Denn der frühere Gouverneur der isländischen Notenbank, Svein Harald Øygard, hat ein Buch über die Krise auf der Vulkaninsel geschrieben, das ein grelles Licht auf die kaum gezügelte, von weitgehender Kenntnislosigkeit der Gegebenheiten auf Island begleitete Risikobereitschaft der deutschen Banken wirft. Øygard ist Norweger, er war in den neunziger Jahren Staatssekretär im norwegischen Finanzministerium, danach Partner der Unternehmensberatung McKinsey. Die isländische Regierung verpflichtete ihn in höchster Not im Februar 2009, als die Notenbank in Reykjavík eine neue Führung brauchte, weil die Verstrickungen ihres bisherigen Chefs in die Machenschaften von Glitnir, Kaupthing und Landsbanki ihn untragbar gemacht hatten. Als Ausländer, der für etwa ein halbes, ausgesprochen turbulentes Jahr eines der wichtigsten Ämter auf der Insel bekleidete, bringt Øygard nun die richtige Mischung aus Distanz und Nähe für das Vorhaben mit, die Island-Krise in all ihrer Beispielhaftigkeit zu beschreiben.

          Svein Harald Øygard, Islands Notenbankchef im Krisen-Jahr 2009, hat ein Buch geschrieben. Die deutschen Banken kommen darin nicht besonders gut weg.
          Svein Harald Øygard, Islands Notenbankchef im Krisen-Jahr 2009, hat ein Buch geschrieben. Die deutschen Banken kommen darin nicht besonders gut weg. : Bild: Fartein Rudjord

          Sein Buch, das am 20. Februar auf Englisch unter dem martialischen Titel „In the Combat Zone of Finance“ (zu Deutsch: In der Kampfzone des Finanzsystems; LID Publishing, London, 19,99 Pfund) erscheint, ist knapp 400 Seiten dick – und die deutschen Banken kommen darin denkbar schlecht weg. Das liegt schon an den nackten Fakten, die der Autor auflistet: Von den rund 40 Milliarden Euro Forderungen aus dem Ausland, die Glitnir, Kaupthing und Landsbanki im Herbst 2008 hätten bedienen müssen, kamen rund 23 Milliarden aus Deutschland; von den 25 Banken, die erfolglos gegen die auf Kosten der Investoren ergriffenen Notfallmaßnahmen klagten, hatten 17 ihren Sitz in Deutschland; unter den ausländischen Banken, die bis zum Herbst 2008 bereitwillig hochverzinsliche Anleihen in isländischen Kronen in Umlauf brachten oder selbst kauften, die sogenannten „Gletscher-Anleihen“, mit denen sich Island auf Biegen und Brechen Devisen verschaffte, war die Deutsche Bank eine der eifrigsten.

          Nun haben die Deutschen seit jeher einen Narren gefressen an Island, dieser einsamen Insel am Polarkreis. Viele suchen dort unberührte Natur und schnaubende Ponys, andere urwüchsiges Germanentum. Freizeitabenteurer aus mitteleuropäischen Ballungsgebieten wiederum finden auf Island ideale Bedingungen, um sich einmal so kühn zu fühlen wie die Wikinger, jene furchtlosen Seefahrer aus dem hohen Norden. Gletscher und Vulkane, steil ins Meer abfallende Klippen, heiße Quellen, die ihr Wasser in die Luft schleudern – all das hat Island zu bieten, rauh und schön, jeder Fleck ein Selfie-Spot. Die Finanzkrise allerdings hat gezeigt: So groß das touristische Interesse der Deutschen an der Insel im Nordatlantik traditionell ist, so klein war in den deutschen Banken in den Jahren vor dem Zusammenbruch von Glitnir, Kaupthing und Landsbanki offenkundig das Interesse daran, was von diesen drei eifrigen Geschäftspartnern eigentlich zu halten war.

          Lest die Statistik, nicht Reiseprospekte!

          Ist es unfair, das im Nachhinein zu kritisieren? Sind damals nicht alle auf die Isländer hereingefallen, denen die internationalen Ratingagenturen doch stets Bestnoten gegeben hatten? So mögen sich Zehntausende Sparer herausreden, die damals in Deutschland auf das Zinsversprechen der hiesigen Kaupthing-Vertreter hereingefallen sind (und nach einigen Monaten der Unsicherheit voll entschädigt wurden). Aber doch nicht die Profis, die jeden Tag mit Millionen oder gar Milliarden hantieren! 

          Wer wollte, der konnte durchaus vorhersehen, was auf Island los war. Øygard bringt gleich mehrere Beispiele dafür. Auf seiner Liste der ausländischen Gläubiger findet sich beispielsweise keine einzige skandinavische Bank: In den Nachbarländern kannte man offenbar seine Pappenheimer und hatte rechtzeitig zur Kenntnis genommen, in welchem Verhältnis zum isländischen Bruttoinlandsprodukt die Kreditsummen von Glitnir, Kaupthing und Landsbanki standen, wie hoch der Verschuldungsgrad der isländischen Unternehmer und Privathaushalte war und wie eng verwoben die drei großen Banken untereinander waren. Als Kaupthing 2005 ein Büro in Oslo mieten wollte, forderte der Vermieter schon damals die Miete für die folgenden drei Jahre im Voraus.

          „Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: sie sind genauer“, hat Hans Magnus Enzensberger einst hellsichtig gedichtet. Die deutschen Finanzhechte hätten über Island besser auch einmal etwas anderes gelesen als immer nur Reiseprospekte oder Heldensagen. Die Quittung waren dann gewaltige Abschreibungen auf das Island-Engagement: 800 Millionen Euro bei der Bayern LB, 500 Millionen bei der DZ Bank, 350 Millionen Euro bei der LBBW, 232 Millionen bei der Commerzbank, 200 Millionen bei der West LB, 170 Millionen Euro bei der Deka und 113 Millionen bei der KfW. Die Deutsche Bank wiederum zahlte rund 400 Millionen Euro, um mit einem Vergleich ein Gerichtsverfahren aus der Welt zu schaffen: Sie war beschuldigt worden, dem Kaupthing-Management im großen Stil dabei geholfen zu haben, die Kapitalmärkte zu täuschen und damit die Krise noch zu verschärfen, indem sie den Preis von Kreditausfallversicherungen künstlich niedrig hielt.

          Die Abrechnung des Notenbankchefs

          Als Schuldeingeständnis will die Bank diese Vergleichszahlung selbstredend keinesfalls verstanden wissen. Aber die Zahlen verraten genug: Die Zahlung belief sich auf rund 80 Prozent der Schadenersatzforderung, der sich die Deutsche Bank in diesem Fall gegenübersah.

          So teilte sich das deutsche Kreditgewerbe auf Island die Aufgaben, ohne das abgesprochen zu haben. Die Landesbanken gewährten den Isländern freigebig Kredit. „In manchen Fällen kam die Hälfte der Darlehen aus Deutschland“, überschlägt Svein Harald Øygard, der Ex-Notenbanker. „Die deutschen Banker hatten dabei von Island offenkundig so viel Ahnung wie ein Fisch vom Leben auf dem Festland.“ Die Deutsche Bank war in seinen Augen indes noch schlimmer. „Sie hat an allen Ecken und Enden mitgeholfen, die Schieflage der isländischen Banken zu vertuschen, so lange es nur ging.“ Eine Nachfrage, welche Geschäfte die Deutsche Bank heute noch - oder wieder - auf Island treibt, blieb in der vergangenen Woche unbeantwortet.

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