: Der Markt ist nicht gnadenlos
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Als Charles Darwin im Jahr 1835 auf seiner fünfjährigen Weltumrundung mit dem königlich-britischen Segelschiff Beagle die Galapagos-Inseln erreichte, fand er den tausend Kilometer westlich der ekuadorianischen Küste gelegenen Archipel nahezu unberührt vor.
Von Rainer Hank
Als Charles Darwin im Jahr 1835 auf seiner fünfjährigen Weltumrundung mit dem königlich-britischen Segelschiff Beagle die Galapagos-Inseln erreichte, fand er den tausend Kilometer westlich der ekuadorianischen Küste gelegenen Archipel nahezu unberührt vor. In stiller Abgeschiedenheit konnte Darwin sich der Erforschung seiner Galapagos-Finken widmen, deren Variantenreichtum ihm eine erste Idee jener Abstammungslehre vermittelte, die ihn weltberühmt machen sollte.
Betritt ein Forscher heute die Galapagos-Inseln, wird er dort keine neue Spezies der Finken finden, stattdessen aber auf Hütten, Straßen, Landepisten und Radarstationen stoßen. Es sind Hinterlassenschaften der menschlichen Kultur, nicht ihrer Natur. Wie sind sie dorthin gekommen? Unterliegt ihre Entstehung auch einem Code der Evolution? Eines ist immerhin gewiss: Anders als die Arten der Natur entspringt die Kultur (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kunst) einem Akt der menschlichen Freiheit. Man kann sich ein Holzhaus bauen, man kann es auch bleiben lassen. Und was daraus schließlich wird, die Stadt Rom oder ein Dorf im Westerwald, haben die Häuserbauer nicht in der Hand. Die kollektive Wirkung menschlicher Handlungen ist nur selten das Resultat individueller Absicht.
Die Idee der universellen Evolution, welche auf dem Wege der Analogie das Darwinsche Prinzip der Selektion und Variation auch auf kulturelle Entwicklungen anwendet, zieht Sozialphilosophen, Historiker oder Ökonomen bis heute unvermindert stark in ihren Bann. Doch betritt man sogleich vermintes Gelände, seit der "Sozialdarwinismus" den Versuch gemacht hat, wirtschaftlichen Wettbewerb und den Kampf ums Überleben ("Survival of the fittest") gleichzusetzen und das biologische Prinzip der natürlichen Auslese auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Dieses Gedankengut, wonach sich langfristig zwangsläufig die Besten durchsetzen werden, geht auf den britischen Denker Herbert Spencer (1820 bis 1903) zurück und führte direkt in die nationalsozialistische Rassenlehre und die grausamen Programme der Euthanasie.
Den entscheidenden Unterschied, der die menschliche Kultur von der Natur unterscheidet, nämlich das Vermögen der Freiheit, lässt der Sozialdarwinismus außer Acht. Er bleibt tautologisch und fatalistisch: Sieger ist, wer gesiegt hat - arg viel mehr gibt die Formel vom "Survival of the fittest" nicht her. Fatal daran ist, dass seither viele Menschen den Wettbewerb auf freien Märkten für eine Spielart des Sozialdarwinismus halten. Sie glauben, dass in der kalten Welt der Wirtschaft, nicht anders als im harten Kampf der biologischen Evolution, ein egoistischer Krieg geführt werde, in dem jeder gegen jeden mit allen verfügbaren Ellenbogen anrempelt. Das ist schon allein deshalb ein Zerrbild, weil es im wirtschaftlichen Wettbewerb häufig gerade die Verlierer sind, die sich anschließend wieder berappeln und aus der Niederlage die Kraft zum späteren Sieg beziehen. Im richtungslosen Prozess der biologischen Evolution wäre ihr Untergang endgültig, bliebe ihnen diese zweite Chance mithin versagt.