Europäische Industriepolitik : Italien will für Industriehilfen mehr Schulden machen dürfen
- -Aktualisiert am
Der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti Bild: Reuters
Die Regierung in Rom fürchtet, dass andere europäische Länder mehr Geld für die Unterstützung ihrer Wirtschaft ausgeben können und fordert daher ein europäisch abgestimmtes Vorgehen. Wie berechtigt sind die Bedenken?
Italien fürchtet, im neuen Wettlauf um staatliche Industriehilfen zurückzufallen, denn der finanzpolitische Spielraum des Landes ist aufgrund seiner hohen Staatsverschuldung gering. Daher hat der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti gereizt auf die Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck und dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire in die Vereinigten Staaten reagiert. Die Minister haben dort angesichts der massiven Staatshilfen im Zuge des „Inflation Reduction Act“ auf ein ausgewogeneres Vorgehen gedrungen. „Die Reise ist eine Initiative von zwei Ländern, keine europäische Initiative. Doch wir brauchen eine europäische Antwort“, sagte Giorgetti in einem Gespräch mit Journalisten in Rom. „Wenn das Italien gemacht hätte, wäre das Land als souveränistisch und antieuropäisch kritisiert worden“, sagte der Minister des nach Deutschland und Frankreich drittgrößten EU-Landes, das aber vor Frankreich über den zweitgrößten Industriesektor Europas verfügt.
Unter einer europäischen Antwort stellt sich Italien einen EU-Fonds für Industriepolitik vor wie etwa den während der Pandemie geschaffenen Europäischen Wiederaufbaufonds, dessen größter Mittelempfänger Italien ist. „Doch das Thema ist aus meiner Sicht politisch noch nicht reif“, sagte Giorgetti.
Stattdessen macht Italien einen anderen Vorstoß: Staatshilfen für Unternehmen und Sektoren, die von der EU-Kommission genehmigt sind, sollten aus den europäischen Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden herausgenommen werden. Die Maastricht-Regeln sind zurzeit ausgesetzt, auf europäischer Ebene wird über eine Neugestaltung verhandelt. „Einige Länder haben mehr finanzpolitischen Spielraum als andere. Wenn jetzt ein Subventionswettlauf beginnt, dann besteht das Risiko, dass ein Pfeiler Europas unterminiert wird – der gemeinsame Markt“, sagte Giorgetti. Er könne „die Idee nicht akzeptieren, dass Projekte wie Ökologie, Energiewende und Digitalisierung alle Charakteristiken haben, um in Europa öffentlich gefördert zu werden, gleichzeitig werden sie bei den Budgetregeln aber nicht gesondert behandelt“.
Schulden sollen unter Kontrolle bleiben
Sorgen vor einer neuen italienischen Schuldenspirale begegnet der Minister mit der Versicherung, dass Italien finanzpolitische Umsicht walten lassen wolle: „Wir haben eine hohe Staatsverschuldung. Daraus ergibt sich die Pflicht, keine Probleme für andere Länder und für Italien zu kreieren.“ Der jüngste Haushalt, der die Neuverschuldung reduzierte, habe dieses Verantwortungsbewusstsein gezeigt; „auch die Märkte haben das verstanden“. Die italienische Neuverschuldung ist im vergangenen Jahr von 7,2 auf geschätzte 5,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gefallen und soll in diesem Jahr weiter auf 4,5 Prozent sinken.
Der Minister kündigte zudem eine Überprüfung der aktuellen italienischen Wiederaufbau-Projekte an. Denn er kennt die Gegenargumente in Berlin oder teilweise in Brüssel: Warum soll neues europäisches Geld fließen, wenn die überwiesenen Mittel noch nicht ausgegeben sind? In dieser Lage befindet sich Italien. Es hat viele EU-Milliarden noch nicht investiert, weil es an technischen Planungskapazitäten fehlt und Ausschreibungen beispielsweise nicht in Gang gekommen sind. Alle Ministerien würden in wenigen Wochen Listen über stecken gebliebene und aus heutiger Sicht weniger relevante Projekte vorlegen, dann solle es zu Streichungen kommen, kündigt der Minister an.
Rom will dabei freilich nicht auf Geld aus Brüssel verzichten, sondern die Mittel für andere Projekte einsetzen. Um ein Energie-Drehkreuz für Europa zu werden, wäre es etwa gut, die Infrastruktur für den Energietransport von Süd- nach Norditalien auszubauen, sagte Giorgetti. Zudem müsste die Inflation, die Kostenrechnungen zunichtegemacht hat, berücksichtigt werden. Eine Verlängerung für das Auslaufen der europäischen Wiederaufbaufonds-Mittel, die 2026 vorgesehen ist, könne sich die italienische Regierung auch vorstellen.
Kleinere Länder sind auch besorgt
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos in Januar Gegenmaßnahmen zu den Subventionsprogrammen in den Vereinigten Staaten und China angekündigt. In den nächsten Jahrzehnten werde man vielleicht den größten industriellen Wandel aller Zeiten erleben. „Diejenigen, die die Technologien entwickeln und herstellen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen bilden, werden den größten Wettbewerbsvorteil haben", sagte sie in einer Rede gerade in Bezug auf ökologisch saubere Wirtschaftszweige.
Daher seien hohe Investitionen in ganz Europa notwendig, denn es gelte „eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu vermeiden“, sagte von der Leyen. Die Regeln sollten so geändert werden, dass die EU Weltmarktführer für saubere Technologien werden könne. Zulassungen sollten einfacher sein und schneller erfolgen.
Die Frage der Mittelzuweisung ließ sie jedoch offen. In der Tat liegen Deutschland und Frankreich bei der Subventionsvergabe weit vorne: Auf sie entfallen derzeit mehr als drei Viertel der staatlichen Beihilfen, die im Zuge des derzeitigen befristeten Krisenrahmens genehmigt wurden.
Verschiedene kleinere Nationen wie Dänemark, Finnland, Irland, die Niederlande, Polen und Schweden haben die EU-Kommission bereits zu Vorsicht gedrängt: Ein Subventionswettlauf sei zu vermeiden, er könne zur Zersplitterung des Binnenmarktes führen könnten, erklärten sie. Italien schließt sich als zweitgrößte Industrienation dieser Linie nun an.