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Dena-Studie : Heftige Kritik an der deutschen Klimapolitik

  • -Aktualisiert am

In Deutschland fehlen immer noch Stromleitungen, um überschüssigen Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Bild: Victor Hedwig

Dena, die bundeseigene Energieagentur, hält die deutsche Klima- und Energiepolitik für engstirnig und unrealistisch. Besonders deutlich werden die Fachleute, was den Verkehr angeht.

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          Die der Bundesregierung unterstellte Deutsche Energieagentur (Dena) hat eine Menge Einwände gegen die deutsche Klima- und Energiepolitik. Zu detailverliebt, zu engstirnig, zu sehr auf einzelne Technologien ausgerichtet, lauten verklausuliert die Vorhaltungen. Überhaupt könne Deutschland seine energie- und klimapolitischen Ziele bis 2050 nur mit vielfältigen technologischen Lösungen bei allerdings größeren Anstrengungen als heute erreichen. Nötig sei überdies eine konsistente Überarbeitung der Abgaben und Umlagen.

          Andreas Mihm
          Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

          In der am Dienstag vorgestellten „Dena-Leitstudie Integrierte Energiewende“, die rund 50 „Partner“ aus der Wirtschaft auflistet, liest sich die Bestandsaufnahme dann so: „Eine Fortschreibung aktueller Entwicklungen ergibt eine Treibhausgasminderung von 60 Prozent im Jahr 2050“. Tatsächlich will die Regierung bis dahin die Emissionen um 80 bis 95 Prozent unter das Niveau von 1990 gedrückt haben. Oder: „Der optimale Transformationspfad des Energiesystems für die nächsten 30 Jahre zur Erreichung der 2050-Ziele kann nicht vorherbestimmt werden.“ Dafür gebe es zu viele Unsicherheiten. Doch die Regierung hat vor einem Jahr mit dem „Klimaschutzplan 2050“ einen detaillierten Pfad beschrieben, wie und in welchen Sektoren die Emissionen reduziert werden sollen, seine Fortschreibung ist für das nächste Jahr vorgesehen.

          Auf möglichst viele Technologien setzen

          Besonders deutlich fällt das Diktum der Fachleute im Straßenverkehr aus, in dem die vollkommene Elektrifizierung der politischen Debatte und den Ankündigungen der Autoindustrie zufolge inzwischen unumgänglich erscheint. Im Gegensatz dazu erscheint den Dena-Fachleuten „eine rein strombasierte Energieversorgung aller Verkehrsträger sehr unwahrscheinlich“. Umso irrealer müssen ihnen deshalb Überlegungen aus dem der Dena vorgesetzten Bundeswirtschaftsministerium erscheinen, das in den kommenden Dekaden von einer weitgehenden Elektrifizierung aller Wirtschaftsbereiche – Industrie, Gebäudeheizung, Verkehr – mittels Ökostrom ausgeht.

          Auch bei einer deutlichen Effizienzsteigerung der Antriebe würden künftig „erhebliche Mengen flüssiger und gasförmiger Energieträger benötigt“, um die Nachfrage aus dem Verkehrsbereich zu decken. Die Dena steht mit der Einschätzung nicht allein. Ähnlich hatte sich die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften Acatec in der F.A.Z. geäußert.

          Dabei ist es nicht so, als würden die Autoren der Dena-Studie die Klimaziele nicht teilen. Sie wollen sie allerdings auf einem möglichst effizienten und damit preiswerten Weg erreichen. Dafür empfehlen sie dringend, auf möglichst viele Technologien und Verfahren zu setzen: mehr Effizienz, bessere Haustechnik, steuerliche Anreize, Ökostrom aus Wind und Photovoltaik, Biosprit, Erdgas und solches, das aus der Umwandlung regenerativer Elektrizität gewonnen wurde, künstlich erzeugte CO2-freie Kraftstoffe, auch wenn sie aus dem Ausland importiert werden müssen.

          Jedes Jahr 8000 Megawatt mehr

          In dem Bericht stehen viele Zahlen, nur auf konkrete Euro-Beträge verzichten die Autoren – anders der Bundesverband der Deutschen Industrie. Auch dieser arbeitet an einer Machbarkeitsstudie der Energiewende. Sie soll im Januar vorgestellt werden. Wie die F.A.Z. berichtet hatte, kommen die Autoren darin auf Ausgaben von 1,4 Billionen Euro, und das auch nur bei einer Minderung der Kohlendioxidemissionen um 80 Prozent bis 2050.

          Dass die Energiewende noch eine gewaltige Aufgabe für die Volkswirtschaft ist, stellen auch die Autoren der Dena-Studie klar. Notwendig sei eine „Vervielfachung“ der schon heute installieren Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Was für eine Herausforderung angesichts wachsender Proteste gegen eine „Verspargelung der Landschaft“ darin besteht, macht der folgende Satz deutlich: „Besonders die verfügbaren Flächen für Windkraftanlagen an Land werden fast vollständig genutzt werden müssen“, allerdings sei eine Entlastung durch den Ausbau von Meereswindparks möglich.

          Die Größe der Herausforderung verdeutlicht eine weitere Zahl: Um die nötigen Ökostromkapazitäten zu bauen, müsse bis 2050 das zuletzt erreichte (und über den Vorgaben der Regierung liegende) Niveau von 8000 Megawatt Zubau im Jahr bis 2050 beibehalten werden. Tatsächlich hat die Regierung den Zubau im Norden schon begrenzt, weil die Leitungen fehlen, um den Ökostrom abzuleiten.

          Kohleausstieg kommt - so oder so

          Hier entsteht das nächste Problem. Der Netzausbau, der wegen vielfältiger Proteste schon heute um Jahre zurückliegt, müsse nicht nur beschleunigt, sondern über das bisher erkannte Maß hinaus erheblich und zusätzlich verstärkt werden. Die Kosten für die Ertüchtigung der Verteil- und Übertragungsnetze schätzen die Autoren auf mindestens 150 Milliarden Euro.

          Der nächste Punkt berührt die Versorgungssicherheit. Auch 2050 würden noch konventionelle (Gas-)Kraftwerke gebraucht, auch wenn die dann mit synthetischen und CO2-freien Kraftstoffen betrieben würden – was wiederum die Existenz globaler Märkte für diese Kraftstoffe voraussetze. Die in der Politik und von Umweltgruppen leidenschaftlich geführte Debatte über einen staatlich erzwungenen Ausstieg aus der Kohleverstromung lässt die Autoren der Dena-Studie kalt. Wegen der Preissignale, die die Klimapolitik aussende, werde die Kohleverstromung in Deutschland sukzessive auslaufen.

          In der heftig umstrittenen Frage, ob die Klimapolitik durch (nationale) Steuern oder eine Reform des europäischen Emissionshandels als finanzielles Steuerungsinstrument ergänzt werden müsse, bleibt die Studie vage. Ihre Autoren raten lediglich dazu, für Emissionsminderungen einen „übergeordneten Rahmen“ zu schaffen, der – anders als heute mit lediglich Energie und Industrie – viele Wirtschaftssektoren umfasse und an den europäischen Emissionshandel anknüpfe.

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