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Entschleunigung : Warum manche den Lockdown vermissen

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Ruhe und weniger Menschen: Damit kommen in der Pandemie offenbar Menschen über 50 Jahre besser zurecht. Bild: ZB

Die Pandemie hat vielen das Gefühl von Sicherheit in ihrem Alltag genommen. Doch eine Umfrage zeigt, dass sich mancher sogar nach dem Leben im Stillstand zurücksehnt.

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          Homeoffice, Entschleunigung, weniger soziale Kontakte – seit fast eineinhalb Jahren ist das die „Corona-Normalität“ in Deutschland, stets im Wechsel mit Lockerungen und der Hoffnung auf ein baldiges Pandemie-Ende. Während sich viele vor der drohenden vierten Welle nochmal in Kneipen, Kinos oder Schwimmbäder stürzen, sind andere zurückzuhaltender – und scheinen weiter in einem eigenen Lockdown bleiben zu wollen.

          Ein Phänomen, das auch Generationenforscher Rüdiger Maas beobachtet. Seit Beginn der Pandemie erfragt sein Team am von ihm gegründeten privaten „Institut für Generationenforschung“ in Augsburg die Haltung der Bevölkerung in Deutschland zur Corona-Pandemie. In der neuesten repräsentativen Umfrage unter 2210 Befragten gibt etwa ein Zehntel der Menschen ab 40 Jahren an, bestimmte Dinge aus den Lockdown-Zeiten zu vermissen. Knapp sieben Prozent der sogenannten Baby Boomer (ab 56 Jahre) und etwa acht Prozent der „Generation Y“ (26 bis 39 Jahre) wollen ihren Pandemie-Alltag sogar am liebsten gleich ganz beibehalten.

          Angst vor Ansammlungen

          In Zeiten, in denen zumindest vorübergehend vieles wieder möglich ist, bekommen es manche Menschen regelrecht mit der Angst zu tun. All das aufgeben, worauf man sich schon eingestellt hat? Eine schwere Vorstellung für manche, die sich mit der Pandemie abgefunden haben. Es gebe „einen Teil der Menschen, die darauf keine Lust haben“, sagt die Traumapsychologin Karin Clemens von der R + V Versicherung. Wegen der Pandemie würden die Menschen seit mehr als anderthalb Jahren unaufhörlich mit zwar wichtigen, aber dennoch bedrohlichen Informationen „beschossen“. „Jede Berührung kann potenziell gefährlich sein. Diese Information bleibt im Kopf – und bei jedem Treffen geht der erhobene Finger hoch“, sagt sie.

          Sterbefälle in der Familie und bei Freunden, eine Insolvenz des Betriebs, monatelange Isolation: Die Corona-Zeit habe vielen Menschen vor allem das Gefühl der Sicherheit genommen. So etwas gab es zwar auch vorher. Aber: „Jetzt steht die Bedrohung seit fast anderthalb Jahren direkt vor der Tür“, sagt Psychologin Clemens. „Und die Bedrohungssituation hat ja auch noch keinen Endpunkt – siehe die Delta-Variante.“

          Jüngere Menschen sind optimistisch

          Gerade jüngere Menschen freuten sich aber über Lockerungen und Öffnungen – wieder reisen zu können, im Klassenverband zu lernen oder in der Uni Freunde zu treffen. Laut Umfrage von Generationenforscher Maas blicken fast 85 Prozent der Menschen unter 26 Jahren optimistisch oder sogar sehr optimistisch auf eine Zeit nach Corona.

          „Der Lockdown hat unterschiedlich auf die Generationen gewirkt, und die Regierung hat meiner Meinung nach die Bedürfnisse der Jüngeren ausgespart“, sagt Maas. „Dabei sind die Folgen für die Jüngsten am schwersten.“ Gerade deswegen hofften insbesondere sie, an ihre alte Realität anknüpfen zu können. Aber: Laut Umfrage fühlen sich gleichzeitig etwa 46 Prozent dieser Altersgruppe auch unter Druck gesetzt, wegen der gelockerten Maßnahmen viele Dinge zu unternehmen.

          Etwas anders sieht das bei den Älteren aus: „Zu Beginn der Pandemie mussten sich insbesondere Menschen, die älter als 40 sind, beruflich schlagartig umstellen – ob auf Homeoffice oder auf eine digitale Strategie für den Betrieb“, sagt Maas. Die über 40-Jährigen hätten sich mittlerweile an die neue Lebensweise gewöhnt und würden sie mit in die Zeit nach Corona tragen wollen. Trotz aller Ängste und Sorgen: Laut Generationenforscher Maas gewöhnen sich viele schnell wieder an ein neues Leben nach der Pandemie. Denn: „Sobald sich die Richtung der Gruppendynamik ändert, passen wir uns entsprechend an.“

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