Folgen von Corona : Frankreich ist Europas neues Schlusslicht
- -Aktualisiert am
Frau mit Mundschutz in Paris Bild: AFP
Frankreich leidet unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie: Manche Ökonomen halten einen Wachstumseinbruch von bis zu 25 Prozent für möglich. Die lange Ausgangssperre trifft eine Volkswirtschaft, der es an Puffern fehlt.
Frankreich blickt mit großer Sorge auf den wirtschaftlichen Einbruch in der Coronavirus-Krise. Vor allem das zweite Quartal dieses Jahres wird bitter ausfallen, weil dann die strenge Ausgangssperre voll zuschlägt. Eric Heyer, ein bekannter Ökonom am Pariser Beratungsinstitut OFCE, schließt nicht aus, dass dann die Wirtschaftsleistung in Form des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zwischen März und Juni um 25 Prozent einbrechen könnte. „Das ist das schlechteste Szenario. Im besten Fall dürften wir ein Minus von 13 Prozent haben“, sagte er der F.A.Z. Frankreich ist schon im ersten Quartal, das nur zwei Wochen Ausgangssperre enthielt, zum wirtschaftlichen Schlusslicht unter den großen Volkswirtschaften Europas geworden. Zwischen Anfang Januar und Ende März brach das BIP gegenüber dem Vorquartal um 5,8 Prozent ein.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union liegt damit deutlich unter dem Durchschnitt im Euroraum mit seinem Minus von 3,8 Prozent und verzeichnet einen stärkeren Einbruch als Länder wie Spanien (minus 5,2 Prozent), Italien (minus 4,7 Prozent) und Deutschland, für das etliche Ökonomen einen Rückgang von 2 bis 3 Prozent erwarten. „Frankreich ist der traurige Rezessions-Weltmeister“, schreibt der Ökonom und Präsident der Pariser Beratungsgesellschaft ACDEFI, Marc Touati, in einem Magazinbeitrag. Er rechnet für das erste Halbjahr mit einem Rückgang des französischen BIP von 13 Prozent. Die Wirtschaftsleistung werde damit auf das Niveau von 2005 zurückfallen. „Wenn man die optimistische These aufstellt, dass Frankreich von 2021 an jährlich um 2 Prozent wächst – doppelt so viel wie durchschnittlich in den vergangenen fünfzehn Jahren – dann haben wir erst 2026 wieder das Niveau von 2019 erreicht“, meint Touati.
Kosten gehen in Dutzende von Milliarden Euro
Die Ausgangssperre läuft in Frankreich schon seit dem 17. März und soll erst am 11. Mai gelockert werden – und dann auch nur schrittweise. Präsident Emmanuel Macron hält an dem Datum, das er schon am 13. April verkündet hat, eisern fest. Geschäfte, Restaurants und viele Fabriken sind geschlossen. 11,3 Millionen Menschen – mehr als 59 Prozent der Beschäftigten im Privatsektor – arbeiten nicht und erhalten staatliches Kurzarbeitergeld aus einem neu eingeführten System, das die Regierung als „das großzügigste Europas“ angepriesen hat. Der Staat und die Arbeitslosenkasse ersetzt den Franzosen dadurch 84 Prozent des Nettolohnes, auf Ebene des staatlichen Mindestlohnes sogar 100 Prozent.
Die Kosten gehen in die Dutzende von Milliarden Euro. Von Anfang Juni an soll das Kurzarbeitergeld schrittweise zurückgefahren werden. Die Regierung und die Arbeitgeber rufen die Franzosen jetzt dazu auf, vom 11. Mai an rasch wieder zur Arbeit zurückzukehren. Doch es sind noch viele Fragen offen, wie das konkret ablaufen soll, etwa im öffentlichen Verkehr des Großraums Paris, wo ein Abstandsgebot und Maskenpflicht herrschen soll. Die Regionalpräsidentin Valérie Pécresse sagte, dass in dem Ballungsraum mit seinen 12 Millionen Einwohnern nur rund 1 Million Menschen pro Tag transportiert werden könnten – ein Fünftel des üblichen Aufkommens. Die Unternehmen sollen die Heimarbeit mindestens bis zum Sommer aufrechterhalten.
Vertrauen schwer angeschlagen
Der Rückgang des französischen BIP von 5,8 Prozent im ersten Quartal ist der stärkste Einbruch seit dem 2. Weltkrieg. 1968 wurde im Zuge der Studentenunruhen ein Quartalsrückgang von 5,3 Prozent registriert. Das Minus vom ersten Quartal 2020 lag deutlich über den Schätzungen vieler Ökonomen von rund 4 Prozent. Die Verbraucherausgaben ließen in diesem Zeitraum um gut 6 Prozent nach, die Unternehmensinvestitionen um fast 12 Prozent. Normalerweise ist der Konsum der Franzosen ein verlässlicher Pfeiler des Wirtschaftswachstums. Doch nun ist das Vertrauen der Haushalte schwer angeschlagen; im März erlebte die Ausgabebereitschaft laut der Umfragen den tiefsten Sturz, seit die Aufzeichnungen 1972 begannen.
Im verarbeitenden Gewerbe ist die französische Wirtschaft stark von der Flugzeugherstellung, vom Autobau und nicht zuletzt von der Luxuswarenindustrie geprägt - alles Bereiche, die kaum Nachfrage haben. Zudem sind die Unternehmen nach Ansicht des Ökonomen Jean-Paul Betbeze steuerlich schon lange so stark belastet, dass sie nur geringe Reserven für Investitionen und Arbeitsplatzschaffung haben. Das durchschnittliche Gewinn-Niveau der französischen Unternehmen liege immer noch unter dem Niveau von 2007 und deutlich hinter den Wettbewerbern in Ländern wie Deutschland, Italien und Spanien, teilte Betbeze am Sonntag mit.