Kritik an „Zwangskrediten“ : Regierung: Gutscheine statt Rückzahlung für abgesagte Reisen
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Schweizer Touristen an einem Schalter in Bogota in Kolumbien. Bild: dpa
Touristen sollen für abgesagte Reisen nun Gutscheine statt Rückzahlungen erhalten. Das gleiche plant die Regierung zum Beispiel für Bundesligaspiele. Erst muss aber noch die EU-Kommission zustimmen.
Die Bundesregierung will bei abgesagten Reisen sowie bei Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Sport und Freizeit eine Gutscheinlösung für Kunden – statt einer sofortigen Rückzahlpflicht. Das Corona-Kabinett stimmte einer entsprechenden Lösung zu, wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Regierungskreisen erfuhr. Neben Deutschland wollten auf EU-Ebene viele weitere Mitgliedsstaaten eine solche Lösung. Die EU-Kommission muss dem noch zustimmen.
Die Gutscheinlösung soll dabei nicht nur für Flüge und Pauschalreisen, sondern auch etwa bei Tickets für Fußballspiele und Konzerte gelten. Das beträfe nicht nur die Fußball-Bundesliga, sondern auch andere Sportarten wie Handball, Basketball und Eishockey, wo die Ligen ebenfalls pausieren.
Verbraucherschützer lehnen die von der Bundesregierung geplante Regelung ab. Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, erklärte am Donnerstag, die Kunden hätten Vorkassezahlungen in dem Vertrauen geleistet, das Geld im Falle einer Absagen zurückzuerhalten. „Diese sogenannten Gutscheine sind in Wirklichkeit Zwangskredite der Verbraucher an die Unternehmen, für die sie nicht mal Zinsen erhalten.“
Dabei seien viele Bürger jetzt genauso dringend auf liquide Mittel angewiesen wie die Unternehmen und müssten selbst Kredite aufnehmen und Zinsen zahlen, fügte Müller hinzu. „Verbraucher dürfen nicht als schnelle und zusätzliche Refinanzierungsquelle von Unternehmen missbraucht werden“, meinte der Verbandschef. Die Verbraucherschützer setzen sich stattdessen für einen Fonds ein, der die Liquidität der Reisebranche sichern soll. Statt Gutscheine verpflichtend zu machen, könnte zudem der Rückzahlungszeitpunkt für fällige Beträge bis maximal Ende April ausgedehnt werden.
Härtefallklauseln geplant
Nach dem Plan der Bundesregierung sollen die Gutscheine bis Ende 2021 befristet sein und für alle Tickets gelten, die vor dem 8. März gekauft wurden. Hat der Kunde seinen Gutschein bis Ende 2021 nicht eingelöst, muss der Veranstalter ihm den Wert erstatten. Geplant sind auch Härtefallklauseln für alle Kunden, denen ein Gutschein wegen ihrer finanziellen Situation nicht zumutbar ist.
Eigentlich ist für abgesagte Pauschalreisen eine Erstattung spätestens nach 14 Tagen Pflicht, für abgesagte Flügen innerhalb von sieben Tagen. Viele Veranstalter konnten dies zuletzt aber nicht leisten, da die deutsche Reise- und Luftverkehrsbranche stark unter den Einschränkungen infolge der Coronavirus-Krise leidet.
Zuvor hatte die F.A.Z. berichtet, dass die Bundesregierung ein Gutscheinmodell prüft. Gutscheine seien grundsätzlich denkbar, es komme auf die Ausgestaltung an, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums am Mittwoch. Es bedürfe einer „fairen Lösung“, um Interessen von Reiseveranstaltern und Kunden zu wahren.
Signale der Zustimmung hatte es aus der Union gegeben. Ziel sei es, „insbesondere die kleinen und mittleren Reiseveranstalter und Reisebüros vor dem wirtschaftlichen Aus zu retten“, sagte deren verbraucherpolitischer Sprecher Jan-Marco Luczak. Unabdingbar sei, den Wert der Gutscheine durch Staatsbürgschaften abzusichern. Für die Grünen lehnte Tourismuspolitiker Markus Tressel das Modell ab.
Gutachten: Bund soll Gutscheine absichern
Auch ein Gutachten des Deutschen Reiseverbandes aus der Kanzlei Beiten Burkhardt hatte der Bundesregierung das Gutscheinmodell nahegelegt. Reiseveranstalter müssten andernfalls in den nächsten Wochen mindestens 3,5 Milliarden Euro auszahlen, heißt es in dem Gutachten. Wenn nicht ab Mitte April wieder Reisen stattfänden, wäre die Summe noch höher. „Der Zahlungsanspruch der Verbraucher gegenüber Reiseveranstaltern übertrifft bei weitem die vorhandene Liquidität“, heißt es. „Es droht ein Zusammenbruch der gesamten Reisebranche.“
Die Gutscheinregelung sei „geboten“, so das Gutachten. Mehr noch: Der Bund müsse den Wert der Gutscheine absichern. Der Grund für die Staatshaftung sei die „nicht europarechtskonforme Umsetzung“ der Pauschalreiserichtlinie in Deutschland. Zur Thomas-Cook-Insolvenz im Herbst 2019 hatte sich gezeigt, dass eine Insolvenzversicherung in gesetzlicher Höhe nicht reichte, um alle Kundenforderungen zu bedienen. Seitdem ist das deutsche Reiserecht aber nicht geändert worden. Wenn die Corona-Krise Insolvenzen auslöse, drohe das Gleiche – außerdem wenn Unternehmen, die Gutscheine geben, vor deren Einlösung aufgeben. Es bedürfe daher neben einer Ersetzung der Erstattung „einer weiteren Absicherung des entsprechenden Anspruchs außerhalb des bestehenden Insolvenzsicherungssystems“.